Von alten und neuen Branchen-Denkweisen
Sichtweisen

Von alten und neuen Branchen-Denkweisen

Katharina Mückstein, Juni 2017

Katharina Mückstein studierte Regie und Produktion an der Filmakademie Wien. Talea (2013) war ihr erster Spielfilm, 2017 folgt L’Animale. 2010 gründete sie gemeinsam mit drei Kolleg/innen La Banda Film. La Banda Film produzierte bislang Talea, Holz Erde Fleisch (2016) und aktuell TIERE UND ANDERE MENSCHEN sowie L’Animale in Koproduktion mit der NGF Geyrhalterfilm.

Der vorliegende Text wurde als 5-Minuten-Input im Rahmen des Diagonale Film Meetings 2017 vorgetragen. Die Frage, die Katharina im Rahmen der Diskussionsrunde “Demnächst (nur) im Kino!” gestellt wurde, war:

Was erwarten sich Filmemacher/innen noch vom Kino und Kinostart?

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Der Frage an mich ist schon so ein depressiver Unterton eingeschrieben, aber ich habe keine Lust zu jammern über ein Kino in der Krise. Ich bin überzeugt, dass das Kino nicht stirbt, sondern sich seine Bedeutung im Kontext einer vielschichtigen Medienlandschaft im Wandel befindet.

Keineswegs bin ich der Meinung, dass die Menge der produzierten Filme das Hauptproblem darstellt. – Das kann nur ein Argument jener sein, die mehr Fördergeld für ihre eigenen Filme beanspruchen wollen. ABER: Ich wäre für eine verstärkte Qualitätsdebatte – dazu vielleicht später in der Diskussion mehr.

Prinzipiell habe ich den Eindruck, dass die Diskussion innerhalb der Filmbranche nicht besonders progressiv ist. Wir reden immer über dasselbe: Was muss man tun, damit sich dort, wo wir Geld verdienen, nichts ändert. Jedes Argument motiviert vom Fokus auf den eigenen Vorteil. Ich glaube, dass ein kulturpolitischer Diskurs nicht von Interessenpolitik motiviert sein kann und Visionen von der Zukunft braucht. Ich möchte also alle auffordern, einen Schritt von der eigenen Sorge um die eigene Existenz zurückzutreten und sich das große Ganze anzusehen.

Wir haben augenblicklich ein sehr modernes Problem: Die Marktlogik hat die Haltung zur Kunstförderung ausgehöhlt, der Effizienz-Gedanke wird immer herangezogen, wenn er taugt, die eine oder andere Argumentation zu stärken.

Und statt uns zu wehren, haben wir – die Kunstschaffenden selbst! – diese Argumentation internalisiert. – Wir argumentieren selbst mit Wirtschaftlichkeit, wenn es darum geht, die eigenen Filme gut und die der anderen schlecht zu reden. Ich denke, das ist ein großer Fehler.

Wir sollten uns öfter daran erinnern: Beim Film – egal welches Genre – geht es um Kunst, die hat einen übergeordneten Wert für die Gesellschaft und darf niemals an ihrer Wirtschaftlichkeit gemessen werden.

Ich glaube, diese schwache Haltung, die wir da eingenommen haben, hat dazu geführt, dass wir jetzt hier sitzen und wie die Besatzung eines sinkenden Schiffes panisch nach Wegen suchen, die Löcher zu flicken, die wir selbst gebohrt haben.

Ich möchte noch etwas sagen, weil ich hier die Bühne habe: Als junge Filmschaffende rechne ich – wie viele meiner Generation – nicht mehr damit, dass ich bis ins hohe Alter Filme machen werde. Wir sehen doch, was die Generation Filmwunder uns hinterlässt: Junge Firmen sind mehr und mehr aus den relevanten Förderstrukturen ausgeklammert, Nachwuchsförderung besteht bestenfalls aus einer Aneinanderreihung von One-Hit-Wonders, kontinuierliches Arbeiten ist für viele nicht möglich. Den Zuverdienst aus der TV-Produktion teilen sich eine Handvoll Firmen seit Jahrzehnten untereinander auf. So gesehen denke ich, dass wir – die jüngeren – eine ganz andere – vielleicht fatalistisch anmutende – Vision vom Filmemachen in der Zukunft haben als die besser bis gut versorgte ältere Generation.

Wenn es also um das Herausbringen von Filmen in der Zukunft geht, glaube ich, die einzige Diskussion, die wir Filmschaffende WIRKLICH führen müssten, diese wäre: Sind unsere Filme relevant für die Gesellschaft, deren Teil wir sind?

Relevanz ist ein Begriff, der mich sehr beschäftigt und der immer im Bezug auf das Herausbringen eines Films schlagend wird. Mit meinem ersten Film TALEA habe ich die Erfahrung gemacht, dass im Zuge des Kinostarts der Eindruck entstand, unser Film sei nur für kleine Gruppen relevant – Frauen und Popkulturinteressierte.

Ein halbes Jahr später – im Rahmen von Eine Stadt. Ein Film. – haben an einem Abend rund 2000 Leute den Film in Wien angeschaut. An diesem Abend habe ich realisiert, wie groß mein potenzielles Publikum gewesen wäre. Jung, Alt, Männer, Frauen konnten an den Film anschließen, darüber diskutieren, die Partizipation war spürbar und sehr schön für mich und meine KollegInnen. Dieser Film wäre also durchaus für viel mehr Menschen relevant gewesen, als er im Zuge des Kinostarts erreicht hatte.

Hier also doch noch eine halbe Antwort auf die ursprünglich gestellte Frage, was sich FilmemacherInnen von einem Kinostart erwarten: Ich persönlich möchte, wenn ich einen Film herausbringe, in Kontakt mit dem Publikum sein. Ich möchte ins Gespräch kommen und herausfinden, ob meine Arbeit für die Leute, mit denen ich durch sie kommunizieren will, relevant ist.

Damit das in Zukunft möglich ist, brauchen wir schnell die kontrollierte Sprengung alter Strukturen und Denkweisen. Wir können nicht über das Kino sprechen, als gäbe es nicht all die anderen Möglichkeiten, audiovisuellen Content zu konsumieren. Wir haben eine Standesvertretung, die über Kinosperrfristen und Internetpiraterie diskutiert, während wir jüngere froh wären, wenn eine halbe Million Leute unsere Filme im Internet downloaden würden. – Mir persönlich wäre das Geld ja eher egal, schließlich haben wir den Film bereits mit 95% Steuergeld hergestellt.

In der Zukunft sind Ort und Zeit irrelevant. Mir ist es egal, ob meine Filme im Kino, auf einem Fernseher, Beamer, Laptop, Virtual-Reality-Brille, Bildschirm irgendeiner Art angesehen werden. In der Zukunft zählen wir nicht mehr kleinlich die verkauften Tickets, wir konzentrieren uns darauf, die Kanäle, über die wir unser potenzielles Publikum erreichen können, gut zu bedienen.

Ein Gedanke: Wieso richtet das Filminstitut nicht für den nationalen Verleih eine Stelle ein, die einen Job macht wie die AFC im Festivalbereich? Diese Stelle könnte dann eine Person im Alter um die 35 leiten. Die Einkünfte werden direkt wieder in den Fördertopf gespeist und die ProduzentInnen bekommen statt Gewinnbeteiligung Referenzmittel für jede verkaufte Einheit. Wieso fördert man eine kleinteilige Verleihstruktur, wenn – nix für ungut – jeder Kinostart verläuft wie jeder andere?

Wir halten uns auf mit zwanzig Jahre alten Denkweisen, sodass unser Publikum – das Publikum der Zukunft – uns mit seinen Seh- und Konsumgewohnheiten längst überholt hat.

Die Zeit ist knapp – daher eine ganz kurze Conclusio: es geht nicht um Zuschauerzahlen und Produktionsmenge. Wenn die Strukturen und Haltungen der Filmbranche der Zeit hinterherhinken, läuft uns das Publikum Richtung Zukunft davon.

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Veröffentlicht am 1. Juni 2017
Portraitbild © Natalie Schwager