Lukas Ladner| BMKÖS Startstipendiat 2021
Porträts

Lukas Ladner| BMKÖS Startstipendiat 2021

Februar 2022

„Dafür ist Filmemachen zu anstrengend, zeitaufwändig und persönlich“

 

Lukas Ladner, 1991 in Innsbruck geboren, studierte zunächst Philosophie und Komparatistik an der Universität Innsbruck, bevor er 2013 an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF ein Studium in Film- und Fernsehregie begann (und 2016 im Bachelor abschloss). Danach ging er zurück nach Innsbruck, arbeitete dort als Assistent für Menschen mit Behinderungen und setzte das Komparatistikstudium fort. 2022 wird Lukas’ erster Langdokumentarfilm Eva-Maria in die Kinos kommen. Für das Startstipendium hat er sich mit dem Projekt Haut und Nah beworben, einem „Arbeiterporträt über Intimität“.

 

Worum geht es in deinem Hybrid-Dokumentarfilmprojekt Haut und Nah, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Lukas LadnerDie Frage, mit der ich begonnen habe, war: Welche Wichtigkeit und Qualität hat Intimität für uns Menschen? Dass ihr Stellenwert meist unterschätzt wird, wurde jetzt, während der Corona-Pandemie, sehr evident. Wer hätte sich schon vor dem ersten Lockdown gedacht, welche Kluft der fehlende Kontakt zu unseren Mitmenschen erzeugen würde.

Der Film hat sich seit meiner Einreichung sehr gewandelt. Von dem damals intendierten Arbeiter*innenporträt ist nicht mehr viel übrig. Aus meiner eigenen Arbeit als Assistent für Menschen mit Behinderungen wusste ich, dass Personen, die Berufe ausüben, welche Intimität erfordern, differenzierter über diese Sachverhalte nachdenken. Das hat mich aber zu sehr eingeschränkt. Deshalb musste ich mich davon verabschieden.

Das Schwierige bei diesem Thema ist, dass man einen Geist einzufangen versucht. Das Interessante einer intimen Handlung passiert nämlich nicht an der Oberfläche, sondern im Inneren. Deswegen konzentriere ich mich nun auf diesen Moment der körperlichen Begegnung als Entstehungsort von Fantasien und Beziehungen und versuche, den sich dabei entfaltenden Möglichkeitsräumen in diversen Beziehungsanordnungen, teilweise dokumentarisch, teilweise inszeniert, nachzuspüren.

In deinem aktuellen Dokumentarfilm Eva-Maria, in dem wir dich neben deiner Funktion als Regisseur vor allem als Assistent für Menschen mit Behinderung kennen lernen, wirst du ja selbst mit der Thematik Intimität konfrontiert. Gab Eva-Maria den Anstoß für dein neues Projekt? Mit welchen Fragen wurdest du als Assistent konfrontiert, die du jetzt für dein neues Projekt mitnimmst?

Ja und nein. Intimität bzw. deren Rand- und Grenzbereiche sind eine Thematik, die mich schon sehr lange beschäftigt. In der filmischen Arbeit ist sie eine beständige, wenn auch oft unterschätzte, Begleiterscheinung der Arbeit. Man möchte etwas schaffen, das nahegeht, und dafür muss man sich manchmal auch ins metaphorische Fleisch schneiden. Wichtig ist jedoch, dass es in einem kontrollierten und sicheren Umfeld passiert, das keine Narben hinterlässt. „Safe spaces“ sind wichtig. Persönliche Grenzen sind zu respektieren. Man setzt sich also in der filmischen Arbeit, gerade in der Regie, immer auch mit Intimität auseinander.

Während meiner Assistenzarbeit habe ich darüber hinaus zum ersten Mal verstanden, dass eine Handlung erst durch die intendierte Absicht zu einer intimen wird. Als persönlicher Assistent führt man im Arbeitsalltag eine Vielzahl an Handlungen durch, die äußerlich intim wirken mögen, aber es für die Beteiligten nicht sind, da keine emotionale, sondern eine funktionale Absicht dahintersteht. Die Absicht macht die Art der emotionalen Berührung aus, im positiven wie im negativen.

Wichtiger Bestandteil einer Arbeit mit Intimität ist also, wie du sagst, das Vertrauen, diese in einem ‚safe space‘ erfahren zu können. Mit einem Filmprojekt machst du die Arbeit quasi nach außen hin sichtbar. Ist das für dich als Filmemacher ein ‚Widerspruch‘? Wie willst du diese ‚Grenzüberschreitungen‘ filmisch angehen?

Das ist die Krux bei diesem Unterfangen. Was von Anfang an für mich klar war, ist, dass die Auswahl der Protagonist*innen zentral dafür ist. Man muss Personen finden, die bereit sind, über solche Themen zu sprechen und sich in solchen Situationen zu zeigen. Da muss von Anfang an eine Bereitschaft dafür da sein, das kann man nicht erst während den Vorbereitungen erarbeiten. Es benötigt also Personen, die einen bestimmten Grad an Extrovertiertheit mitbringen oder eine bestimmte, analytische Distanz zu ihren Erfahrungen aufbauen können. Gerade den zweiten Aspekt bringen vor allem Personen mit, die in körpernahen Berufen arbeiten. Deshalb gehören zu den Protagonist*innen des Films u.a. Schauspieler*innen und eine Sexualbegleiterin. Ganz bin ich vom Arbeiter*innenporträt also nicht weggekommen.

Darüber hinaus ist es unablässig, dass man während des Drehs einen „safe space“ ermöglicht. Zentral dafür ist, meines Erachtens nach, dass die Protagonist*innen nicht meinem bzw. dem Blick der Kamera ausgeliefert sind, sondern diesen aktiv mitgestalten können. Dementsprechend muss auch der Dreh- und Schnittprozess darauf ausgelegt werden.

Wir kennen uns schon länger, aber kriegen nur alle paar Jahre mal was von dir mit. Wir haben dich 2011 mit einem Kurzanimationsfilm kennen gelernt, 2013 gab’s einen kleinen Kurzspielfilm von dir, dann haben wir erst wieder 2017 von dir gehört, als wir deinen Abschlussfilm Treibgut zeigen konnten. 2021 warst du plötzlich mit Eva-Maria da, deinem sehenswerten Langfilmdebüt. Neben dem Filmemachen arbeitest du auch in anderen Bereichen, bspw. als studentischer Mitarbeiter und Tutor im universitären Bereich. Ist das Filmemachen für dich mehr Leidenschaft als Beruf?

Das ist die schwierigste Frage in diesem Interview, weil es darauf sehr viele und zum Teil auch widersprüchliche Antworten gibt. Was man aber sagen kann, ist, dass ich in den Jahren der Funkstille nicht untätig war, nur sehr unzufrieden mit meinen damals entstandenen Arbeiten. Ich habe einen sehr hohen Anspruch mir gegenüber, dem ich nur selten gerecht werden kann.

In dieser Hinsicht hat das Filmemachen sicher mehr mit Leidenschaft als Profession zu tun. Ich könnte auch kein Projekt umsetzen, für das ich mich nicht im tiefsten Inneren begeistern kann. Arbeit nach Vorschrift fällt mir sehr schwer. Ich finde auch, das steht sich nicht dafür. Dafür ist Filmemachen zu anstrengend, zeitaufwändig und persönlich. Jeder Film ist irgendwie dein eigenes Kind. Wer will schon bei der Erziehung der eigenen Kinder nur das Notwendigste tun?

Meine anderen Tätigkeiten resultieren aus einem Mischmasch aus überbordendem, persönlichem Interesse, Plan-B-Panik, Zukunftspessimismus und Notwendigkeit. Filmemachen in Tirol ist nicht gerade die einfachste Aufgabe. Da braucht es immer auch ein oder zwei andere Standbeine.

Extract aus Lukas’ Abschlussfilm an der Filmuniversität in Potsdam, Treibgut (2017, 27 min), den er in Tirol drehte. Zwischen fremden Erwartungen, Traditionen und dörflichen Strukturen driftend, hat sich der junge Michael noch nicht selbst gefunden.

Die meisten jungen Menschen, die Filme machen wollen, zieht es – wie du aus Innsbruck nach Potsdam – in größere Städte, in denen womöglich mehr Möglichkeiten und Vernetzung vorhanden sind – und bleiben dann oft dort. Du bist 2016 nach Innsbruck zurückgekehrt, wo, soweit wir das überblicken, nur eine sehr kleine Filmcommunity existiert. Wie einfach oder schwierig ist es, in Innsbruck als (künstlerischer) Filmemacher zu leben?

Es sind viele wunderbare und äußerst talentierte Menschen in Tirol unterwegs, aber leider kann man sich von Talent nichts kaufen. Das große Problem in diesem Bundesland ist die unzureichende Kultursubventionierung. Das gilt für alle Künste, aber besonders für den Film. Ausreichend Budget ist nie vorhanden. Das heißt, dass man das fehlende Budget entweder mit Selbstausbeutung oder geringerem Anspruch kompensiert. So oder so ist es eine frustrierende Situation. Dadurch ist die Filmszene, abseits vom Werbefilm, sehr klein bis gar nicht existent.

Tirol ist komplett unterversorgt, was interessante, zeitgenössische und diverse Filmnarrative anbelangt. Es gäbe also noch viel Boden zu beackern. Vor allem (und ganz dringend) abseits des (touristischen) Heimat-Wohlfühlfilms. Für mich ist das ein konstanter Reiz, der mich immer wieder zwischen den Bergen festhält.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt Haut und Nah derzeit und was glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Während des Startstipendiums konnte ich mich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, ein erstes künstlerisches Konzept erarbeiten sowie Kontakte mit möglichen Protagonist*innen aufbauen. Mit der konzeptionellen Seite bin ich gerade sehr zufrieden. Der nächste wichtige und herausfordernde Schritt wird es sein, fehlende Protagonist*innen zu finden, das Vertrauen zu den bestehenden Protagonist*innen aufzubauen und eine weitere Finanzierung der Stoffentwicklung sowie der darauffolgenden Produktion zu gewährleisten.

Vimeo-Kanal Lukas Ladner
Porträtfoto © Cinema Next / Mafalda Rakoš