Aus dem Inseldasein ausbrechen
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Aus dem Inseldasein ausbrechen

Michaela Taschek, Dezember 2020

Michaela Taschek, geboren und aufgewachsen am östlichsten Rand der Alpen, studierte Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg (Abschluss 2018) sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien (Abschluss 2009). Sie arbeitete unter anderem für die Kurzfilmtage Oberhausen und Lotus Film Wien. Bei der Diagonale 2014 erhielt sie den Jugendjurypreis für den experimentellen Kurzfilm Uns geht es gut, bei Vienna Shorts 2018 den Best Newcomer Award für den Kurzdokumentarfilm Doppelgänger. Michaela schreibt derzeit die Miniserie Schnee (Produktion: Witcraft, Regie: Barbara Albert, Esther Rauch).

Der folgende Text ist einer von zwei Plädoyers für “Mehr Drehbuchautor/innenkino!

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Fangen wir mit dem Glück an. Wir Autor/innen haben das Glück, am Anfang des Schaffensprozesses zu stehen. Wir sind es, die als erste auf Entdeckungsreise in ein noch unbekanntes Territorium gehen und davon berichten. Unsere Erzählungen darüber sind es, die alles, was danach kommt, beeinflussen, ja mehr sogar: auf denen alles danach aufbaut. Man stürzt sich in ein Abenteuer, man findet Zusammenhänge heraus, von denen noch niemand wusste. Man präsentiert sie und übergibt sie an die Nachfolgenden, die damit im idealen Fall respekt- und verständnisvoll umgehen.

Man lernt früh, dass man loslassen können muss, wenn man diesen Beruf wählt. Ja, von Anfang an wird einem eingebläut, dass dem so ist. Anders ist es beim Beruf des Regisseurs oder der Regisseurin, der oder die bis zum Schluss sammeln darf und seinen/ihren Abdruck in jedem Gewerk hinterlassen wird.

Aber ist es wirklich das Beste loszulassen? Hätten nicht zahlreiche Filmprojekte mehr davon, wenn die Autoren und Autorinnen länger dabei blieben, man auf ihre Expertise zurückgreifen könnte, und zwar nicht nur die Regie oder Produktion, sondern auch Kamera, Schnitt oder Ton?

Ich bin der Meinung, dass dem so wäre. Dabei geht es mir nicht darum, die Arbeit der Regie zu übernehmen, sondern vielmehr darum, eine Ergänzung zu sein. Dass das selten so praktiziert wird, liegt unter anderem an der Ausrichtung des Drehbuchstudiums. Während der Zeit an der Filmakademie sind die Autorinnen und Autoren Inseln, die sich hauptsächlich um sich selbst gruppieren. Der Kontakt mit anderen Studiengängen fehlt zu einem Großteil, was wiederum dazu führt, dass das gegenseitige Verständnis für die jeweilige Arbeit nicht vorhanden ist.

Denke ich an die Filme zurück, bei denen ich während meines Studiums selbst Regie führte, fühlte ich mich oft fehl am Platz. Besonders deutlich wurde das am Set, wo ich mir beinahe übergriffig vorkam, wenn mich jemand aus der Kameraabteilung nach meiner Meinung fragte. Denn was weiß ich denn schon vom richtigen Bild? Was genau mache ich hier eigentlich?

Diese Fragen stellte ich mir nicht, weil mir etwa die filmische Vision gefehlt hätte, sondern weil ich es nicht gewohnt war, aus meinem Inseldasein auszubrechen und plötzlich in einem Verband von Gewerken zu arbeiten, die immer wieder auf mich angewiesen waren. Umgekehrt merkte ich oft, wie wenig Gespür für die Arbeit mit Drehbüchern vorhanden war. Für viele war es eine Grundlage, mit der man machen konnte, was man wollte.

Damit diese Probleme gar nicht aufkommen, ist von Anfang an ein Austausch auf Augenhöhe notwendig. Muss sichergestellt werden, dass alle eine ähnliche Vision des Werks haben und nicht eigentlich in verschiedene Richtungen schauen. Ein Drehbuchstudium, in dem die Kommunikation mit den anderen Studienfächern eine Priorität ist, in dem man nicht nur um sich selbst kreist, sondern seine Arbeit als respektvolles Zusammenspiel mit jener der anderen versteht, wäre etwas, was ich mir im Nachhinein wünschen würde.

Natürlich gibt es bestimmte Geschichten, die man nur selbst schreiben kann. Es verwundert mich daher nicht, dass sich viele Regisseur/innen im Lauf ihrer Karriere selbst an einem Drehbuch versuchen, denn auch ich habe Geschichten, die ich nicht aus der Hand geben würde.

Eine davon war Doppelgänger (2017, 20 min), die semidokumentarische Arbeit über meinen verstorbenen Vater, der Ende der 1980er Jahre durch einen Doppelgänger ersetzt wurde. Da dieses Projekt so eng mit meiner persönlichen Geschichte verbunden war, gab es für mich zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, Buch und Regie zu trennen und jemanden von außen an den Film heranzulassen. Auch war die Arbeit so nonlinear, was es nochmals schwerer gemacht hätte. Ich schrieb den Text, ich sammelte Bilder, ich saß mit Sandra Wollner im Schnitt, ich passte die Geschichte an die Bilder an, die Bilder passten sich an die Geschichte an, alles reagierte von Anfang an aufeinander und beeinflusste sich auf die bestmöglichste Art, bis der Film, der am Ende dabei entstand, so nahe wie möglich an dem war, was ich erzählen wollte. Denn auch das änderte sich den Schaffungsprozess hindurch.

Müsste ich mich für eine Art des Filmemachens entscheiden, so wäre es die Arbeit mit Archivmaterial, die schon immer eine meiner liebsten war, weil das Suchen, Sammeln, Finden und Erschaffen untrennbar miteinander verbunden sind. Diese Art der Regie kommt wahrscheinlich der Arbeit eines Drehbuchautors oder einer Drehbuchautorin am nächsten. Das Material ist geduldig, man kann seinen Arbeitsrhythmus viel unabhängiger von anderen gestalten als etwa bei einem konventionellem Dreh. Ein solches Arbeiten ist aber leider die Ausnahme. Der Found-Footage-Film nach wie vor eine Nischenerscheinung, das Geld wird anderswo gemacht.

Wenden wir uns also nochmals der Zusammenarbeit von Regie und Drehbuch zu. Dabei ist eines unabkömmlich: gegenseitiger Respekt. Respekt vor der anderen Person und Respekt vor deren Arbeit. Das gilt natürlich in beide Richtungen.

Vor kurzem wurde mir der Vorwurf gemacht, dass ich so klinge, als wäre Schreiben Leiden. Erst war ich stutzig, dann aber war meine Antwort klar: Ja, Schreiben ist (auch) Leiden. Und wer das anders sieht, hat sich nie richtig mit dem Beruf auseinandergesetzt.

Da diese Auseinandersetzung fehlt, kommt es während des Studiums immer wieder vor, dass Regisseur/innen sich wie selbstverständlich einen Credit als (Ko)Autor/in geben, weil sie ja mit Ideen und durch viele Gespräche und vielleicht auch Korrekturen und der Regiefassung zum Buch beigetragen haben. Diesen Beitrag spricht ihnen keiner ab, aber man ist deswegen noch lange kein/e Autor/in. Genauso wenig wie man einen Credit für Schnitt oder Kamera bekommt, weil man im Schnitt dabei war oder an der Kameraauflösung mitgearbeitet hat.

Denn ja, wir alle lieben es, Ideen zu haben, diese aufzuschreiben, darüber zu erzählen, sie groß zu denken und andere dafür zu begeistern. Doch ein Großteil der Arbeit der Autor/innen beginnt erst danach. Eine Idee ist noch lange keine Geschichte, und um sie in eine solche Form zu bringen, braucht es Talent, aber auch Geduld. Schlaflose Nächte, weil der zweite Akt nicht so will, wie er soll. Notizbücher voller Post-Its, weil man die Sprache der Protagonistin nicht gleich findet.

Um das verständlich zu machen, müssen aber auch die Autor/innen aus ihrem Inseldasein aktiv heraustreten, weniger mit den anderen Inseln seufzen, sondern stattdessen lauter werden, unseren Platz und Rechte einfordern. Mitunter stellt dann die eine oder der andere fest, dass man es auch einmal als Regieführende/r probieren möchte, und findet darin die Erfüllung.

Jene, die das nicht tun, und hier komme ich nun nochmals auf das Glück zurück, die haben dafür allen Grund – denn unser Beruf ist trotz all der Steine, die einem manchmal in den Weg gelegt werden, ein großes Glück. Auch als Insel, auch allein in den Schreibkammern, als Forschende/r in noch unbekannten Weiten. Eigentlich kein Wunder, dass von diesem Glück alle etwas abhaben wollen.

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