Mein erstes Cannes
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Mein erstes Cannes

Patrick Vollrath, Juni 2015

Patrick Vollrath aus Eisdorf (D) studierte von 2008 bis 2015 Regie an der Filmakademie Wien unter Michael Haneke. Sein aktueller Kurzfilm Alles wird gut (2015, 30 min) wurde in den Kurzfilmwettbewerb der Semaine de la Critique nach Cannes eingeladen.

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Metallgitter und mehrere Ordner leiten einem den Weg zum Palais de Festival. Immer wieder wird dein Ticket kontrolliert. Es dauert eine Weile bis man zu einer der berühmtesten Treppe der Filmwelt gelangt. Doch davor wartet noch der Rote Teppich und sicher 150 Fotografen und Fernsehkamerateams sowie hunderte Fans, die seit Stunden ausharren, um später einen kurzen Blick auf irgendeinen Star zu erhaschen. Ich gehe zügig über den roten Teppich. Obwohl ich mit meiner Fliege und meinem extra geliehenen Smoking ziemlich schick aussehe, interessiert sich natürlich keiner der Fotografen für mich.

Ich schreite die Stufen hoch und blicke mich um. Es ist schwierig in dem Moment zu begreifen, dass man gerade wirklich dort steht.

Dann am Ende der Treppe noch schnell ein Foto. Für mich, für die Mama und vielleicht auch für Facebook. Während gerade Colin Farrell durch das Blitzlichtgewitter schreitet, betrete ich das Palais. Wieder Sicherheitskontrollen. Diesmal mit Metalldetektoren. Ob das früher schon so war oder Charlie Hebdo seine Spuren hinterlassen hat, ich weiß es nicht. Und dann gehe ich ins Grand Auditorium Louis Lumière. Dieses riesige Kino mit fast 2.300 Sitzen. Es herrscht Getümmel. Bestimmt 100 PlatzanweiserInnen verteilen die Zuschauer auf ihre Sitze. Auf der Leinwand sieht man live, was gerade auf dem roten Teppich passiert.

Kurze Zeit später schreiten die Schauspieler und der Regisseur des Films (The Lobster von Yorgos Lanthimos) die roten Stufen herauf und betreten das Lumière. Gerade erst hingesetzt, erhebt sich der ganze Saal wieder. Alle klatschen, zollen dem Filmemacher und seinen Schauspielern Respekt. Dann nehmen diese ebenfalls ihre Plätze ein. In der Mitte des Saals in der einzigen Reihe mit extrem viel Beinfreiheit.

Saal_beinfrei

Dann wird es ruhig, der Saal wird dunkel. Keine Werbung, keine Festivalsponsorenlogos. Musik ertönt, und man sieht auf der Leinwand eine Animation, die aussieht, als hätte sie irgendwer vor 20 Jahren am Commodore gemacht. Sie zeigt rote Stufen, die bis in den Himmel reichen und dann in den Sternen erhebt sich die Goldene Palme und darunter der Schriftzug: Festival de Cannes. Wieder klatscht der ganze Saal. Dann geht der Film los.

Irgendwie hat das Stil. Irgendwie hat man das Gefühl, dass hier in diesen kleinen Momenten eine Liebe zum Film und zum Kino zelebriert wird. Diese wenigen Sekunden sind für viele Filmemacher sicherlich eine riesige Motivation für die Zukunft.

Draußen, außerhalb der Kinosäle, ist das anders. Dort herrscht das Business und das Geld.

Eine Einladung nach Cannes,
und schon melden sich viele Menschen

Es ist mein erstes Cannes. Ich habe mir immer gesagt: Wenn ich mal nach Cannes fahre, dann, wenn sie einen Film von mir zeigen. Und dieses Jahr war es plötzlich soweit.

Mein Kurzfilm Alles wird gut/Everything will be okay, den ich beim Festival eingereicht hatte, wurde völlig überraschend in den Kurzfilmwettbewerb der Semaine de la Critique nach Cannes eingeladen.

Cannes ist sicherlich für jeden Filmemacher etwas besonderes. Es ist das größte und vermutlich wichtigste Filmfestival der Welt. Es hat diese ganz besondere und einzigartige Aura.

Ich selber habe das an den Reaktionen gemerkt als öffentlich wurde, dass der Film zur Official Selection der Semaine de la Critique gehört. Auf einmal kamen E-Mails von Journalisten, die Interviews mit mir führen wollten, Sales Agents, die den Film gerne sehen und eventuell repräsentieren wollten. Dazu unzählige Glückwünsche von allen Seiten.

In Cannes reicht schon die bloße Einladung zum Festival, um das Interesse von vielen Menschen zu wecken.

“Es ist Cannes, ihr kommt auch so.”

Doch dann begann der harte Teil meiner Cannes-Erfahrung: die Vorbereitung.

Cannes stellt hohe Forderungen an die ausgewählten Filme und deren Filmemacher. Alle Filme müssen französisch untertitelt werden, 2.000 Pressehefte sollen angeliefert werden, dazu Poster, Website und weitere Werbematerialien. Außerdem muss die Reise organisiert und finanziert werden, denn trotz der offiziellen Einladung wird einem weder Flug noch Unterkunft gestellt. Ganz nach dem Motto: “Es ist Cannes, ihr kommt auch so.” Und das alles muss natürlich irgendwie finanziert werden. Denn billig ist sowas für einen Studenten wie mich natürlich nicht.

An dieser Stelle gilt ein großer Dank all den Unterstützern, die meinem Team und mir diese Festivalreise ermöglicht haben: die AG Kurzfilm in Deutschland, das Kulturforum Paris und das Bundeskanzleramt Österreich (für die finanzielle Unterstützung), german films (für die Vorbereitungen und die Koordination vor Ort) und der Austrian Film Commission (für Tipps und persönlichen Support).

Ein typischer Tag in Cannes:
lange schlafen, schlecht essen, viel Party

Und dann am 14. Mai war es endlich soweit. Der Flug nach Nizza. Von da holte uns ein Auto ab und brachte uns nach Cannes.

Wir (das sind ein paar Teammitglieder und ich) haben uns ein kleines Appartement gemietet. Ca. 25 Gehminuten vom Palais de Festival entfernt. 1.000 Euro für 9 Nächte. 50qm für 4 Personen. Ein absolutes Schnäppchen und wir sind ja sowieso nur zum schlafen da.

Gruppenfoto
Patricks Team in Cannes (v.l.): Sebastian Thaler (Kamera), Yu Guo (Produktionsleitung), Julia Pointner (Hauptdarstellerin), Anna Hawliczek (Produktionsdeparment) und Momo Ehegartner (Ausstatterin).

Angekommen sind wir am Donnerstag. Die Premiere unseres Films war am Dienstag drauf. Also hatten wir genug Zeit Cannes zu erleben.

Ein typischer Cannes-Tag lief bei uns ungefähr so ab: Man schlief etwa bis 10 oder 11, denn die Party in der Nacht zuvor hatte seine Spuren hinterlassen.

Frühstück wurde oft übersprungen und gleich zum Mittagessen übergegangen. Meistens aß man schlecht und viel zu teuer. Der Höhepunkt war eine Tiefkühlpizza mit Rucola für 14 Euro.

Nachmittags und abends haben wir versucht Filme zu gucken. Meistens aus der Official Competition, wobei die Karten dafür extrem schwierig zu bekommen waren.

Abends stand dann wieder die nächste Party an.

Generell sind die Parties wohl neben den Filmen ein bisschen das Herzstück von Cannes. Sie fanden meistens an einem der vielen Strände statt. Einlass gab es nur mit Einladung. Wir hatten etwas Glück, da wir einen Film im Programm hatten, war es etwas einfacher Einladungen zu bekommen.

Die Parties ähnelten sich eigentlich alle. Man steht rum und trinkt Bier, Gin-Tonic oder Champagner (natürlich kostenlos). Viele versuchen Business zu machen. Man tauscht ständig Visitenkarten aus. Wir waren nicht die großen Networker. Wir haben einfach nur versucht, das Leben zu genießen und Spaß zu haben.

Die Frage der Journalisten wiederholten sich

Auf meinem Tagesplan standen auch immer mal wieder Interviews und Pressetermine. Die Aufmerksamkeit in der Medienlandschaft für einen Kurzfilm ist zwar nicht besonders groß, doch da ich der einzige deutsche Regisseur und einer von zwei österreichischen Filme war, die nach Cannes eingeladen wurden, war ich trotzdem von größerem Interesse.

Zum ersten Mal im Leben musste ich Interviews geben. Für Zeitungen und auch für’s Fernsehen. Das war am Anfang sehr ungewohnt für mich. Doch man gewöhnt sich doch relativ schnell daran. Die Fragen der Journalisten wiederholten sich am Ende oft. Meine Unerfahrenheit ließ allerdings meine Antworten etwas variieren.

Ich habe versucht, mich gut auf Cannes vorzubereiten. Ich hatte das Gefühl, dass dies eine Chance wäre, die ich nutzen musste. Jetzt interessieren sich die Leute für einen. Das kann mir helfen meinen ersten Langfilm zu realisieren.

Ich habe im Vorfeld zwei Exposés und ein Serienkonzept geschrieben. Kurz und knapp, damit man es schnell lesen kann. Und es hat sich ausgezahlt. Man wird oft gefragt, woran man gerade arbeitet und dann konnte ich konkret antworten. Mittlerweile gibt es auch schon konkrete Pläne. Was daraus wird, weiß ich noch nicht, aber ein erster Schritt ist mal getan.

Der Tag der großen Filmpremiere

Dann kam der Tag unserer Filmpremiere. Die Semaine findet in einem Kino in der Nähe vom Palais statt. Es war schon schön zu sehen, dass sich Filmmenschen aus aller Welt vor dem Kino drängten, um ein Kurzfilmprogramm zu sehen, in dem ein Film von mir lief.

Die Vorführung selbst war dann aber eher enttäuschend. Das Kino hat den Film, trotz mehrmaliger Besprechung, einfach eigenständig viel zu laut abgespielt. Sowas ist für jeden Filmemacher der Horror. Lange haben wir dafür gearbeitet, dass der Film perfekt wird und dann sowas.

Aber wie es oft ist, fällt sowas dann nur einem selber auf. Nach der Vorführung gab es viele positive Reaktionen. Die schönste kam von einem Mann mittleren Alters, der nach dem Film zu mir kam, um sich zu bedanken. Er habe geweint, da der Film ihn sehr berührte.

Das sind die Momente in denen man weiß, warum es so schön ist Filme zu machen.

Cannes_crazy

Wenige Tage später, am Morgen der Preisverleihung, habe ich dann eine Email bekommen. Eine Gruppe von Cineasten vergibt jährlich ihren eigenen Preis für den besten Kurz- und Langfilm in der Semaine de la Critique – den Rail D’Or. Und dieses Jahr ging der Preis an unseren Film. Das ist natürlich eine schöne Auszeichnung.

Am Abend war dann die große Preisverleihung. Dort sind wir aber leer ausgegangen. Der Preis ging verdient an die Komödie Chickenpox des 24-jährigen Italieners Fulvio Risuleo. Von ihm wird man sicherlich noch einiges hören.

In Wien regnete es – und es fühlte sich gut an

Am übernächsten Tag endete unsere Cannes-Erfahrung dann. Wir verließen die Cote D’Azur mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite war es natürlich spannend und aufregend. Und auf der anderen Seite auch extrem schlauchend.

Cannes ist eine riesige surrealistische Blase. Die Realität ist weit weg. Was in dieser Woche in den Nachrichten war? Ich weiß es nicht. Man hat das Gefühl, dass die Außenwelt nicht exisitiert. Man fühlt sich gefangen in einem goldenen Käfig zwischen all den Ferraris, Yachten und schönen Menschen, den Champagner-Parties und Cocktail-Empfängen. Und über allem steht die Goldene Palme und es lacht ununterbrochen die Sonne.

Fast schon ironisch, dass gerade in Cannes oft die harten Sozialdramen ausgezeichnet werden. Vielleicht sehnt sich auch die Jury gerade dort nach dem echten Leben und wahren Geschichten.

Als wir wieder in Wien gelandet sind, regnete es und ich kann nicht abstreiten, dass sich das wahnsinnig gut anfühlte.

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Veröffentlicht am 4. Juni 2015
Fotos zur Verfügung gestellt von Patrick Vollrath