Raphaela Schmid| BMKÖS Startstipendiatin 2021
Porträts

Raphaela Schmid| BMKÖS Startstipendiatin 2021

Februar 2022

„Am Filmemachen mag ich die Kurzlebigkeit“

 

Raphaela Schmid, 1990 in Linz geboren, studierte Philosophie in Berlin, Wien und São Paulo, bevor sie 2016 ihr Studium in Regie und Buch & Dramaturgie an der Filmakademie Wien begann. Sie schaffte etwas bisher Einmaliges: Gleich zwei Jahre hintereinander gewann sie bei der Diagonale in Graz den Preis für den Besten Kurzspielfilm: 2019 mit ENE MENE und 2020 mit FISCHE. Für das Startstipendium hat sie sich mit dem Spielfilmprojekt ALMOST PARADISE beworben, in dem eine Mutter ihre drei Kinder fernab jeglicher Zivilisation großzieht.

 

Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt ALMOST PARADISE, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Raphaela Schmid: ALMOST PARADISE handelt von drei Geschwistern, die ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt aufwachsen. Sie kennen nur ihren abgeschotteten Mikrokosmos, der den eigenwilligen Regeln ihrer Mutter folgt. Die anfangs paradiesisch anmutende Lebenswelt, die sich die Familie aufgebaut hat, beginnt aber bald zu bröckeln. Dabei spielt die Geschichte mit der Idealisierung der Natur als Rückzugsort vor der Zivilisation. Für mich kreist der Stoff um die Frage, was passiert, wenn wir uns nicht mehr als Teil EINER Gesellschaft sehen und „die Anderen“ nur noch als Bedrohung wahrnehmen.

Dein Kurzfilm ENE MENE  (2019, 17 min) ist ein Film über Trauer und Trauerbewältigung. FISCHE (2020, 17 min) eigentlich auch. Eltern-/Geschwisterbeziehungen spielen ebenso eine Rolle – so auch im neuen Projekt ALMOST PARADISE. Kannst du sagen, was dich an diesen Geschichten und den Figuren, aus denen sie entspringen, interessiert?

Klar überschneiden sich manche Themen bei FISCHE und ENE MENE. Das liegt bestimmt auch daran, dass ich die Bücher zeitgleich geschrieben habe. Die Essenz der beiden Filme ist für mich aber eine andere.

Bei ENE MENE war es zum Beispiel das Abschiedsritual, das den Anfangspunkt für die Geschichte gebildet hat. Die Idee, eine Geburtstagsfeier für ein verstorbenes Familienmitglied zu veranstalten, fand ich berührend, schön und zugleich auch ein wenig skurril. Dieses Ritual stand im Mittelpunkt und im Anschluss daran kamen die Geschichte und die Figuren dazu.

Bei FISCHE sind für mich die Gleichzeitigkeit aller Geschichten und die Vereinzelung in Gesellschaft viel spannendere Aspekte. Diese Themen haben sich im Schreibprozess als das Interessanteste herauskristallisiert. Oft verändern sich die Themen während des Schreibens auch. Dann findet man vielleicht andere Aspekte spannender oder merkt, dass sich hinter der Anfangsidee doch ein anderes Thema verbirgt.

Beim jetzigen Projekt ALMOST PARADISE wollte ich einen Mikrokosmos erschaffen, der nach seinen ganz eigenen Regeln funktioniert. Mich interessieren die Fragen und Probleme, die sich aus dieser Konstellation ergeben. Was das beispielsweise mit dem Zugehörigkeitsgefühl und dem emphatischen Vermögen macht, wenn man so losgelöst von einer Gesellschaft aufwächst.

Still aus ENE MENE. Der Film ist kostenfrei und im österreichischen Geoblocking beim KINO VOD CLUB abrufbar. (Zum Video auf das Bild oder > HIER klicken.) © Simone Hart

Was wir an deinen bisherigen Filmen, zumal ENE MENE und FISCHE, toll finden, ist, dass du eine jeweils eigene und sehr feine Bildsprache für deine Geschichten findest. Die Kamerafrau dieser beiden Filme, Simone Hart, meinte in einem Gespräch, dass du gerne subtil mit Ebenen arbeitest, die in die Filme eingewoben werden. Wie findest du diese ‚Ebenen‘, wie findest du deine Bildsprache?

Ein Gefühl für die Stimmung und die Bildsprache ist meistens schon recht früh da. Es ist eigentlich ein sehr organischer Prozess, ein Hin-und-Her zwischen Geschriebenem und Bild – für mich lässt sich das gar nicht so trennen. Manchmal sind es auch konkrete Bilder, die mich wiederum zu einer kleinen Szene oder einem weiteren Erzählstrang führen. Das visuelle Grundgerüst steckt deshalb bereits in den Drehbüchern drinnen. Vielleicht nicht im ersten Entwurf, aber auf jeden Fall entwickelt es sich im Laufe des Schreibprozesses. Die Geschichte beeinflusst ja die visuelle Sprache und andersrum natürlich auch. Am Ende repräsentiert die Bildsprache auch eine Erzählhaltung, die man einnimmt, und das ist für mich ein wesentlicher Aspekt beim Filmemachen.

Die Herausforderung beim Erarbeiten der Bildsprache ist es, die bereits vorhandenen, einzelnen Momente auszubauen und zu einem einheitlichen Ganzen zu machen – daraus eine visuelle Sprache zu schaffen, die innerhalb dieses Universums in sich kohärent ist.

Dieser Prozess endet erst dann, wenn der Film fertig ist. Dadurch, dass das Filmemachen sich über so viele unterschiedliche Etappen erstreckt, kommen mit jedem Schritt noch mal neue Bausteine dazu. Der Ort des Drehs kann mit seiner Architektur und den Eigenheiten die visuelle Sprache noch mal bereichern und neue Bilder entstehen lassen, an die man so vielleicht noch gar nicht gedacht hat. Manchmal kann sogar im Schnitt noch ein visuelles Element dazukommen, das die Geschichte zusätzlich verdichtet und bereichert.

Du hast Philosophie studiert, bist dann aber ins ‚Film-Fach‘ gewechselt. Warum? Ab wann hat dich Film zu interessieren begonnen?

Für Filme habe ich mich schon sehr früh interessiert. Ich habe immer gerne Geschichten geschrieben und viel analog fotografiert. Irgendwann habe ich das dann kombiniert und selber einen Film gemacht. Wenn man sich auf der Filmakademie für Regie bewirbt, wird ja schon ein gewisses Repertoire an Filmen gefordert. Deshalb habe ich auch schon während meines Philosophiestudiums Kurzfilme gedreht.

Das Schöne am Filmemachen ist für mich das Eintauchen in die jeweils unterschiedlichen Welten. Mit jeder Geschichte kommen andere Themen auf, ergeben sich neue Probleme und Fragestellungen. Man muss sich immer wieder einarbeiten in unterschiedliche Materien, von neuem recherchieren, sich in Situationen und Figuren hineindenken, die einem sonst vielleicht fremd bleiben würden. Außerdem mag ich die Kurzlebigkeit. Irgendwann ist ein Projekt dann abgeschlossen, das nächste beginnt und der Prozess fängt wieder ganz von vorne an.

Raphaela bei der Diagonale’19, als sie für ENE MENE mit dem Preis für den besten Kurzspielfilm ausgezeichnet wurde. © Diagonale/Miriam Raneburger

Du warst mit deinen letzten beiden Filmen sehr erfolgreich und präsent. FISCHE gewann nicht nur auf der Diagonale, sondern war 2021 auch Bester Kurzfilm beim Filmfestival Max Ophüls Preis und nominiert für den Österreichischen Filmpreis. Macht es das für dich, auch als Studentin der einzigen Filmakademie Österreichs, eigentlich leichter, jetzt den nächsten großen Schritt, den so genannten abendfüllenden Kinospielfilm zu realisieren?

Es ist schwierig, im Nachhinein festzustellen, ob ich jetzt bestimmte Förderungen oder Stipendien bekommen hätte, hätte ich diese Preise nicht gewonnen. So gern ich Kurzfilme als eigenständiges „Genre“ auch mag, am Ende sind sie doch auch ein Weg zu zeigen, dass man das künstlerische und handwerkliche Know-how für einen Spielfilm mitbringt. Natürlich schadet es da für die Umsetzung des ersten Langspielfilms nicht, wenn man Kurzfilme anführen kann, die Preise gewonnen haben, aber gleichzeitig reicht es auch nicht als ein „Vertrauensvorschuss“. Ich denke, dass es am Ende auf das aktuelle Projekt ankommt.

Filmemachen ist einfach ein sehr kompetitives Feld. Wenn man auf die eine Filmakademie gehen will, muss man dort erst mal aufgenommen werden, dann die Filme finanziert bekommen, die anschließend hoffentlich auf Festivals selektiert werden und im allerallerbesten, sehr unwahrscheinlichen Fall gewinnt man dann noch einen Preis. Es wird immer noch kleinteiliger und selektiver. Deshalb sehe ich diese Preise in erster Linie als eine schöne Bestätigung für meine Arbeiten, für die ich sehr dankbar bin. Bei ENE MENE haben wir damals zum Beispiel – abgesehen von der Filmakademie – nur Absagen für Förderungen bekommen und den Film dann trotzdem mit einem absurd kleinen Budget gemacht. Dann gewann der Film die Diagonale und war plötzlich „erfolgreich“. Damit will ich nur sagen, dass auch hinter „Erfolgen“ manchmal viele Absagen stecken, aber das sieht man von Außen eben nicht.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt ALMOST PARADISE derzeit und was glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Ich denke gerade nicht aktiv über potenzielle Hürden und Herausforderungen nach, die kommen ohnehin immer von selber und früher, als man glaubt. Für mich wird der nächste Schritt bei diesem Projekt sein, mein Treatment zu einem Drehbuch auszuarbeiten. Darauf werde ich mich jetzt mal konzentrieren.

Porträtfoto © Cinema Next / Mafalda Rakoš