Sandra Wollner | Regisseurin & Drehbuchautorin
Porträts

Sandra Wollner | Regisseurin & Drehbuchautorin

Oktober 2020

„Selten kann eine Erklärung so gut und spannend sein wie das Flirren dazwischen und die Ungewissheit“

 

Sandra Wollner hat an der Ludwigsburger Filmakademie Dokumentarfilmregie studiert, ihre vermutlich einzige Doku ist aber in der Zeit davor entstanden. In bemerkenswert eigenwilligen Spielfilmen provoziert die in Berlin lebende Regisseurin Reflexionen über Realitäten und über Zusammenhänge zwischen Bildern, Gedächtnis und Identität. Den Abschluss gerade in der Tasche – zu dem sich zahlreiche Auszeichnungen für ihre ersten beiden Langfilme gesellen –, gilt Sandra bereits international als vielversprechende junge Autorenfilmerin. Im Rahmen der Kollektion Diagonale’20 – Die Unvollendete feiert ihr außergewöhnlicher Abschlussfilm The Trouble With Being Born bei der Viennale nun endlich auch seine verzögerte Österreichpremiere.

Als klassische Cineastin würde sich die 1983 in Leoben geborene und aufgewachsene Filmemacherin Sandra Wollner nicht unbedingt bezeichnen. Es gibt auch nicht den einen Film, der sie auf den Regie-Weg gebracht hätte. Lust, neben dem Schreiben auch filmisch zu experimentieren, hatte Sandra schon während ihrer Schulzeit. Als sie von ihren Eltern eine Digitalkamera geschenkt bekam, unternahm sie ihre ersten filmkünstlerischen Versuche, montierte Aufnahmen von Kaulquappen mit selbstgeschriebenen Texten oder Zitaten von Flann O’Brien. „Das waren eigentlich Essayfilme, ohne dass ich gewusst hätte, was ein Essayfilm ist. Das waren Versuche, bei denen ich gemerkt habe, dass mir das Format Spaß macht, und ich das Gefühl hatte, da passt etwas aus verschiedenen Welten zusammen: aus Texten – ich habe schon immer viel und gern geschrieben – und aus Beobachtungen. Und das war eigentlich der Startpunkt.“

Ein Start, der Erfolge nach sich zog: Nachdem bereits Sandras Spielfilmdebüt Das unmögliche Bild (DE/AT 2016, 70 min) neben anderen Ehrungen den Preis der deutschen Filmkritik für den besten Spielfilm 2018 erhielt, feierte ihr Abschlussfilm The Trouble With Being Born (AT/DE 2020, 94 min) seine Premiere Anfang 2020 in der neuen Sektion „Encounters“ bei der Berlinale und wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Bei der diesjährigen Diagonale regnete es trotz des Covid-19 bedingt abgesagten Festivals Preise: Neben dem Großen Diagonale-Preis für den Besten Spielfilm und dem Thomas Pluch Spezialpreis für das Drehbuch bekam der Film weitere Honneurs für Schnitt, Sounddesign und das Schauspiel von Dominik Warta. Des Weiteren wurde Sandra mit der Romy für den Besten Kinofilm des Jahres und dem Outstanding Artist Award geehrt – und die Festivaltour des Films ist noch längst nicht beendet.

Still aus Sandras Spielfilmdebüt Das unmögliche Bild (DE/AT 2016, 70 min) (© Timm Kröger)

Still aus Sandras Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg The Trouble With Being Born (AT/DE 2020, 94 min) (© PanamaFilm)

Zwischen den Kaulquappen und diesen eindrucksvollen Auszeichnungen lagen Jahre des Suchens und Lernens. Nach der Matura und einem halben Jahr in Melbourne bewarb Sandra sich für das Regiestudium an der Filmakademie Wien – mit drei Filmen, die sie rückblickend als gescheiterte Versuche bezeichnet, weil sie weder eine klare Geschichte erzählten noch eine Handschrift trugen. Nach der Absage begann sie an der Universität Wien ein Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft, das sie abbrach, weil sie praktisch arbeiten wollte, der Studiengang aber keine potenziellen Kollaborateur/innen bereitzuhalten schien. Es folgte der Sprung ins kalte Wasser: Mit rudimentären Premiere-Skills und keiner Ahnung von Avid begann Sandra bei einer Produktionsfirma als Cutterin für vorwiegend Imagefilme, Nachrichten und TV-Magazine.

„Es waren sehr technische und fernsehlastige Formate und eine sehr prägende Zeit, in der ich viel gelernt habe. Als ich zum ersten Mal mit einem Redakteur von Egypt TV an einem Beitrag arbeitete, der um die Frage kreiste, ob der Iran denn nun Atomwaffen besitzt oder nicht, war keine Zeit, seinen Text ins Deutsche zu übersetzen. Ich musste also eine Sprache, die ich nicht verstand, in enormem Tempo schneiden, ohne wirklich zu wissen, was der Text sagte. Das hat mein Verhältnis zu Medienrealitäten nochmal mehr infrage gestellt. Und trotzdem bin ich dann kurz danach am anderen Ende dieser Kette gelandet und habe in einer Werbefilmproduktion angefangen zu arbeiten – das war eine rein existenzielle Entscheidung.“

Zeitgleich drehte sie mit dem Kameramann Thomas Loacker ihre erste Doku mit dem Titel Mountains and Molehills – ein Film über den höchsten Punkt Hollands, der nach der Auflösung und Neuordnung der niederländischen Antillen in der Karibik lag. Sandra bewarb sich mit dieser Arbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg für das Fach Dokumentarfilmregie, überzeugte die Kommission und nahm 2012 das Studium auf.

„Eigentlich wollte ich immer etwas Fiktives machen, Realitäten konstruieren. Als wir aber Mountains and Molehills gemacht haben, merkte ich, dass ich mich doch gerne mit Menschen beschäftige, auch wenn ich Angst hatte, ihnen nicht gerecht zu werden. Ich würde trotzdem sagen, dass das, obwohl ich durch diesen Film begonnen habe, Dokumentarfilm zu studieren, vielleicht mein bisher einziger Dokumentarfilm war.“

Sandra und Ingrid Burkhard während der Dreharbeiten von The Trouble With Being Born (© Isabella Simon)

Nach Jahren des autodidaktischen Arbeitens hat Sandra es genossen, sich auf die Entwicklung einer eigenen Sprache und Handschrift zu konzentrieren und ihre  filmischen Arbeiten zu spezifizieren. „Was ist denn der Erzählwunsch, den ich selbst wirklich habe? Und ganz generell: Warum muss es überhaupt Film sein? Und obwohl ich das Format immer wieder infrage stelle, lande ich immer wieder beim Film, entscheide mich immer wieder neu dafür.“

Wesentlich für Sandras Arbeiten ist die kontinuierliche Auseinandersetzung mit Realitäten. In Kollaboration mit Britta Schoening und Michaela Taschek, mit der Sandra seit dem Studium neben mehreren gemeinsamen Arbeiten – etwa der in Ko-Regie realisierte Atelierfilm Viktor (DE 2015, 9 min) und Michaelas sehr persönliches Vaterporträt Doppelgänger (AT/DE 2018, 20 min), das Sandra montiert hat – eine enge Freundschaft verbindet, entstand der Experimentalfilm Uns geht es gut (DE 2013, 7 min). In einer siebenminütigen Bild- und Soundmontage eignen sich die Filmemacherinnen auf dem Flohmarkt gefundene Diafotografien eines unbekannten Paares an, um die Geister der 1940er Jahre wiederauferstehen zu lassen – eine private Liebesgeschichte, die die kollektive Erfahrung einer düsteren Zeit miterzählt. „Die Arbeit mit diesem Material hatte im Ansatz auch schon Fragen in mir aufgemacht, die zum weiteren Grundstein für meinen ersten Film Das unmögliche Bild wurden. Ich wollte dabei auch den Leerstellen, jenen Momenten, die es nicht auf die Fotografie schaffen, auf den Grund gehen.“

Uns geht es gut (DE 2013, 7 min), eine Kollaboration von Sandra Wollner, Michaela Taschek und Britta Schoening

Ihre Zweitjahresdoku Luis & Luk (DE 2014, 26 min), das 16mm-Porträt eines kleinen Jungen und dessen imaginären Freundes, inszenierte Sandra aus Interviews und vermeintlich dokumentarischen Situationen. Eine Arbeitsmethode, die ihr scharfe Kritik seitens der Dozenten einbrachte: „Ich wurde dafür kritisiert, dass ich Dinge wiederholt und inszeniert habe. Als würde durch die bloße Wiederholung etwas unwahrer werden. Zumal es genau um die Frage ging, was denn die Imagination eines Kindes über seine Realität aussagt, habe ich diese Kritik nicht verstanden. Natürlich muss man hinterfragen, was Dokumentarfilm sein soll, aber für mich war ja genau das die Grundfrage, und diese wurde mir dabei zu wenig diskutiert. Ich hatte damals gerade Max Frischs Poetikvorlesungen Das schwarze Quadrat gelesen und einer der Sätze, der mich nicht mehr losließ, lautet ‚Fiktion entlarvt die Realität’. Das war ein Spannungsfeld, das ich die ganze Zeit schon mit mir herumgetragen hatte seit dem Nachrichtenschneiden, der Werbung und der Entstehung der ersten Doku. All das führte dann zu meinem Drittjahresfilm Das unmögliche Bild.”

Das unmögliche Bild, Sandras erster abendfüllender Spielfilm, fühlt sich an wie ein Fotoalbum aus den 1950er Jahren, in das man eintauchen kann. Erzählt wird aus der Perspektive der 13-jährigen Johanna (Jana McKinnon), die alltägliche Situationen aus einer uns fremden Zeit mit der 8mm-Kamera ihres verstorbenen Vaters festhält. Erinnerte Momentaufnahmen, die erst nach und nach Verborgenes sichtbar machen und Zusammenhänge entstehen lassen, sich zu einer Narration verdichten: zu Johannas Geschichte.

Den Prozess dieser Individuation auf analogem Material zu drehen und nicht die Option der ständigen Wiederholung zu haben, ermöglichte Sandra eine andere Konzentration: „Ich würde nie dogmatisch sagen, analog ist besser, aber bei Das unmögliche Bild war es essenziell. Wichtiger noch als die Ästhetik war mir die Beschränkung. Es geht ja auch um die Werdung eines Ich, einer Narration, einer Erinnerung. Da müssen Dinge zwangsläufig abhandenkommen. Man muss sich, ob bewusst oder unbewusst, entscheiden, die eine Sache festzuhalten und die andere nicht. Die Materialbeschränkung – wir hatten nur fünf Stunden – wurde sozusagen eine Metapher für das Gedächtnis und der Film selbst zum ‚Ich’.“

Setfoto aus Das unmögliche Bild

Fast obsessiv beschäftigt sich das Wollner’sche Œuvre mit dem Konstrukt Mensch und dessen Fragilität, mit Zusammenhängen zwischen Bildern, Gedächtnis und Identität. Eine von Sandras frühesten persönlichen Erinnerungen ist die Begegnung mit einem Fisch, die sich ereignete, während sie als Dreijährige beinahe in einem See ertrunken wäre. „Das ist das einzige Bild in dieser Geschichte, das mit Sicherheit aus mir kommt, das niemand anderer gesehen hat und das auch in der Erzählungen der anderen nicht vorkommt. Es ist also vielleicht das einzige Bild dieses Ereignisses, an das ich mich selbstständig erinnere.“

Sandras Hinneigung zu kindlichen (und technischen) Wahrnehmungswelten erklärt sich vielleicht durch einen unvoreingenommen neugierigen Blick auf die Welt und eine unverstellte Fähigkeit, divergierende Wahrheiten gleichberechtigt nebeneinander koexistieren zu lassen. „Das gleichzeitige Bestehen von Realität und Fiktion finde ich einfach interessanter als eine zwingend rational-schlüssige Narration. Selten kann eine Erklärung oder Auflösung so gut sein wie das Flirren dazwischen, die spannende Ungewissheit, wenn etwas nicht auserzählt, sondern in der Schwebe gehalten wird.“ In seinem Nahverhältnis zum Traum, der eher irritiert und Ambivalenzen erzeugen kann, statt schlüssig zu sein, sieht Sandra eine große Kraft des Kinos. Da aber auch das Filmemachen vom Wort ausgeht – für Förderanträge müssen Ideen in eine Form gezwängt, bestimmte Kriterien erfüllt werden –, sei es manchmal schwierig, das erste Gefühl, die Irritation, das Flirren, das man sich eigentlich vorgestellt hatte, nicht zu verlieren. „Man beschäftigt sich ja auch mit etlichen Theorien, Ideen, Themen und dann hofft man, dass sich etwas verselbstständigt und zu einem Bild wird. Das ist eigentlich der Prozess. Beim Schreiben von Das unmögliche Bild war es plötzlich ganz klar da: Die Kamera bewegt sich in dieser Wohnung und sieht sich sozusagen selbst. Und es war klar: Das ist der Kern dieses Films.“

The Trouble With Being Born, Sandras zweiter Spielfilm, mit dem sie das Dokumentarfilmregie-Studium zum Abschluss brachte, erzählt die Geschichte einer Maschine, einer künstlichen Intelligenz – zunächst in Form eines Androidenmädchens, dann eines Jungens –, die erschaffen wurde als Gefäß für Projektionen und Wünsche derer, die sie programmiert haben. Ein nichtmenschlicher Protagonist, der alles machen und mögen und somit auch an jeglichen Kategorien rühren kann. Sandra hatte beim Schreiben früh das Bild eines Roboters im Kopf, der durch den Wald läuft, immer weiter und weiter, weil er von sich aus gar nichts will. „Die ersten Bilder waren im Herbst angesiedelt: Ein Android im Anorak, der einer Katze folgt. Ich hatte ein ganz starkes Gefühl, dass der Film 4:3 sein wird. Auch die Farbwelt, die ich im Kopf hatte, etwa die Luftmatratze, das in den 1960er Jahren erbaute Haus, war fast anachronistisch. Ich bin aber jemand, der die eigenen Dogmen, Regeln und Thesen immer wieder infrage stellt, und insofern war das nach sehr viel Theorie ein langer Prozess zurück zu diesem ursprünglichen Gefühl. Eine ständige Infragestellung, aber eben auch eine Bestärkung.“

Still aus The Trouble With Being Born (© PanamaFilm)

Ob im Hervorholen von Vergangenem oder durch die Wahrnehmung eines Androiden: In der Fiktion bringt Sandra Themen hervor, die zeitgemäß und sehr real sind. Und die mitunter Blicke in menschliche Abgründe gewähren. Schon beim Schreiben von The Trouble With Being Born wusste Sandra, dass ihre künstliche Intelligenz den Körper eines Kindes haben soll. Als sie trotzdem bis in die Drehvorbereitungen hinein glaubte, sie könne die Rolle des kindlichen Sexroboters mit Jana McKinnon, einer jungen Frau, besetzen, habe sie sich offensichtlich in die eigene Tasche gelogen, wie sie sagt. Die Rückkehr zum ersten Gefühl brachte Klarheit darüber, dass es für den Film essenziell ist, eine in der Gesellschaft tabuisierte Form von Sexualität darzustellen: Eine Gedankenprovokation, die in den Zuseher/innen einen Schutzmechanismus in Bewegung setzt und die Reflexion darüber, dass es sich um ein Objekt und eben kein Kind handelt, überhaupt erst lostritt. Kurzerhand begann also die Suche nach einem Kind, das Jana McKinnon oder zumindest der Maske, die von ihr angefertigt wurde, nicht nur ähnlich sah, sondern das überhaupt bereit war, mitzumachen und sich zu nichts gedrängt fühlte.

Bei den Vorbereitungen ging es Sandra vor allem darum, Lena Watson, der jungen Darstellerin, das Gefühl nahezubringen, dass sie etwas spielt, mit dem sie selbst nichts zu tun hat. Dass die Rolle so technisch war, half, um sie aus schützender Distanz betrachten zu können. „Die Gefahr beim Dreh mit Kindern besteht ja vor allem darin, dass sie ihr eigenes Gefühl mit dem Gefühl der Rolle verwechseln. Hätte das mit der Maske nicht funktioniert, weil es nicht gut aussieht oder das Budget sprengt, hätte ich auf keinen Fall mit einem Kind gedreht. Erst über die Maske war sichergestellt, dass sie ihre Identität nicht preisgeben muss – sie sieht komplett anders aus.“

Verwandlung durch Maske – Lena Watson am Set von The Trouble With Being Born (© Isabella Simon)

Klar war, dass The Trouble With Being Born dort beginnen sollte, wo Das unendliche Bild endete: In der Verschmelzung von Innen- und Außenperspektive. In der zeitlosen Perspektive eines Maschinengeistes. „Für ein virtuelles Wesen, das die Erinnerungen eines Menschen nachempfindet oder nacherlebt, ist es egal, ob etwas passiert ist oder erst passieren wird, weil es ein virtueller Raum ist, in dem es passiert.“ Wie genau diese Idee weitergeführt werden sollte, war Sandra jedoch lange nicht klar. Mit Timm Kröger, ihrem Lebensgefährten und Kameramann, der bereits bei Das unmögliche Bild für die Bildgestaltung verantwortlich war, suchte Sandra nach Lösungen, wie diese nichtmenschliche Kamera aussehen könnte: „Das war ein immer existenter Kampf, der Knoten hat sich nicht ganz gelöst. Eigentlich habe ich erst im Schnitt gemerkt, dass diese Frage nach dieser nichtmenschlichen Perspektive in die Struktur des Films verlagert werden muss und nicht allein in der Kamera gelöst werden kann. Ich konnte diese Perspektive also nur in Auslassungen, in Wiederholungen oder in Momenten, in denen die Narration brüchig wird, übersetzen. Das war eine Suche und ein Prozess, den ich während des Schreibens und Drehens noch nicht abgeschlossen hatte.“

Sandra mit Kameramann Timm Kröger am Set von The Trouble With Being Born (© Isabella Simon)

Der Schnittprozess ist für Sandra eine wichtige und befreiende Phase der Filmproduktion. „Ich mag das Schreiben sehr gern, aber für den Prozess des Films ist mir das Suchen wichtiger als das von vornherein Festlegen. Und wenn du dann in den Schnitt kommst, musst du es nochmal bewerten. Es ist der Moment, in dem alle erdachten Möglichkeiten tot sind und sich plötzlich ganz andere auftun. Davor ist man lange damit beschäftigt, ein Außen davon zu überzeugen, was der Kern ist, und wenn man mit unterschiedlichen Leuten zu tun hat, übersetzt man das zwangsläufig in verschiedene Sprachen. Nicht für alle Filme ist ein klassisches Drehbuch die geeignetste Beschreibung, aber um an gewisse Fördermittel zu kommen, ist es eben erforderlich. Und dann ist es für den einen plötzlich zu klassisch und für den anderen ein Stück Museumskunst. Und dass man sich vielleicht genau dazwischen bewegt und dort auch noch ganz andere Mechanismen greifen, als ein Stück Papier sie darstellen kann, das kann man hundert Mal sagen, aber sehen wird man es erst im fertigen Film.“

Sandra hat sich schließlich mit ihrem Editor Hannes Bruun vollkommen zurückgezogen, um sich von allen äußeren Einflüssen abzuschotten. „Irgendwann geht es darum, den eigenen Gedanken zu schützen, ihn aber selbstverständlich auch immer wieder infrage zu stellen. Mich erst einmal nicht von anderen Meinungen ablenken zu lassen, habe ich bei Das unmögliche Bild gelernt. Denn jeder sieht einen anderen Film. Ich habe damals beschlossen, das umzusetzen, was ich im Kopf habe – nicht aus Prinzip, sondern weil es sich für mich richtig anfühlt. Und auf dieses Gefühl zu vertrauen, darin hat mein Team und mein Umfeld mich auch bestärkt. Das war der entscheidende Moment: diese Leute kennenzulernen, die versuchen, deinen Film zu sehen.“

Dass Sandra sowohl das richtige Gefühl als auch die richtige Arbeitsweise verfolgt, ihre Filme offensichtlich ein Publikum finden, das sich gern auf Verunsicherung einlässt und sich nicht scheut, mit ambivalenten Gefühlen aus dem Kinosaal in die Realität zurückzukehren, zeigen die vielen Auszeichnungen, die sie für ihre Spielfilme erhalten hat, als auch die Diskurse, die Sandras unkonventionelle Kunst entfacht. Den Abschluss gerade erst in der Tasche gilt Sandra mit ihrem bemerkenswert eigenwilligen Werk bereits international als vielversprechende und sensible junge Autorenfilmerin. Sie will den momentanen Schwung für ein neues Projekt nutzen, das aber noch zu unausgereift ist, um bereits darüber zu sprechen. Nur so viel sei verraten: Es wird um Gespenster gehen. Dass Film auch für diesen Stoff das beste Medium sein wird, steht für Sandra außer Frage: „Egal ob Doku oder Fiktion. Letztlich sind alle Filmfiguren Geister, weil sie nie und zugleich immer real sind. Sie bestehen nur in diesem Filmkosmos, existieren nur in diesem Moment und zugleich für immer, in der Unendlichkeit dieses Formats. An diese Geister glaube ich!“

von Michelle Koch, im Oktober 2020
nicht kreditierte Fotos zur Verfügung gestellt von Sandra Wollner