Fokus Frauen&Branche: Der Erklärungsnotstand gehört auf die andere Seite
Sichtweisen

Fokus Frauen&Branche: Der Erklärungsnotstand gehört auf die andere Seite

Nick Prokesch, März 2016

Nick Prokesch realisiert künstlerische Projekte zwischen Visual Art, Popkultur und Film. Dieser Text wurde als Intervention beim Cinema Next Breakfast Club (Breakfast #2: Zwischenruf: “Das wissen wir Frauen auch!”) auf der Diagonale 2016 vorgetragen.

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Ich möchte an den Beginn meiner 5 Minuten ein Ewe-Mina-Proverb stellen. Also ein in Ghana, Benin und Togo gebräuchliches Sprichwort:

SOLANGE DIE GESCHICHTE DER JAGD NICHT AUS DER SICHT DES LÖWEN ERZÄHLT WIRD,
BLEIBT DER JÄGER IMMER EIN HELD.

Von bell hooks hab ich gelernt, dass es wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen
und dabei möglichst konkret
und genau zu sein.
Also versuch ich das mal.
Und fang gleich bei mir an.

Auf der diesjährigen DIAGONALE
bin ich Filmemacher und Bildproduzent.
Aber auch Protagonist und Abgebildeter.
Ich bin weiß.
Ich bin queer.
Ich bin trans.
Ich bin able-bodied.
Ich gehe heute als Mann durch. Ich passe.
Ich hab einen EU-Pass.
Ich bin Feminist.
Ich habe sexistische Ausschlusserfahrungen.
Ich habe sexistische Gewalterfahrungen.
Ich habe homo- und transphobe Gewalterfahrungen.
Ich habe männliche Privilegien.
Ich lebe und arbeite im Kunst-, Kultur- und Filmarbeiter*Innen-Prekariat.
Und ich bin heute hier eingeladen
um über meine Erfahrungen im Zusammenhang mit Frauen* und Diversity
in der österreichischen Filmbranche zu sprechen.
Ich habe hier ein Bühne, die Anderen verwehrt bleibt.
Ich fühl mich verpflichtet sie zu nutzen.
Es ist mir wirklich noch nie so schwer gefallen, einen Text zu schreiben.
Ich mag Bühnen eigentlich nicht
und bin wahnsinnig davon angenervt
mich und meine Position
schon wieder erklären zu müssen.
Der Erklärungsnotstand gehört auf die andere Seite.
Ich will, dass die HERREN Produzenten und Regisseure, Geldgeber und Fernsehanstalten
sich endlich dafür rechtfertigen müssen
warum sie überhaupt auf die Idee kommen
Filme quasi ohne Frauen*
ohne Migrant_innen und People of Color machen zu wollen und für wen – außer sie selbst – das noch interessant sein soll?
Ich will das nämlich alles nicht mehr diskutieren müssen.
Dazu gibt es genügend Zahlen.
Genügend Information.
Marginalisierte* selbst haben über Jahrzehnte wertvolles Wissen produziert,
gesammelt
und zur Verfügung gestellt.
Warum MANN auf diese Geschichten,
dieses Wissen freiwillig verzichten will?
Rätsel-haft.

5 Minuten sind viel zu kurz und unendlich lang.
Wie Dominik gestern schon gesagt hat
geht’s hier nicht nur um die Frage, was Kino,
was Geschichtenerzählen, was Bewegtbild kann.
Es geht auch darum, WIE
und WOVON wir leben wollen.

Es geht also um Alles.

Für mich und für andere Marginalisierte
sind Feminismus und dekoloniale Strategien keine diskutierbaren oder gar verzichtbaren Luxuspositionen.
Es sind schlicht Überlebensstrategien.

Herrschaftsstrukturen aufzubrechen ist verdammt viel Arbeit.
Sie überhaupt wahrzunehmen ist Arbeit.

Der Rahmen, in dem wir hier heute handeln, sprechen und denken,
ist wie die komplette westliche Welt
von Ausschlussmechanismen und Gewalt durchzogen.
Auch hier finde ich es notwendig, diese beim Namen zu nennen und werde mich wieder bei bell hooks und Laverne Cox anlehnen.
Wir sprechen also in und über ein
weiß-dominiertes,
bürgerlich-kapitalistisches
heteronormatives
cis-sexistisches Patriarchat.
Die österreichische Gesellschaft.
Die österreichische Filmbranche.
Für mich ein Ort, an dem ich mich SELTEN wohl,
sicher, gewollt, geschätzt oder gar zuhause fühle.
Seit Tagen schwanke ich zwischen dem Willen zur Diplomatie
und der Notwendigkeit von Wut.

Mir fehlt hier ein Bewusstsein dafür …
dass Rassismus, Sexismus, Abelismus und Klassismus Strukturen sind
und nicht die Taten Einzelner.

Mir fehlt hier ein Bewusstsein dafür …
dass es in der Verantwortung ALLER liegt
und ganz sicher nicht nur die Aufgabe
der von den Missständen BETROFFENEN sein kann
an diesem Zustand etwas zu ändern.

Mir fehlt hier ein Bewusstsein dafür …
dass es nicht länger um Toleranz oder Diversity gehen kann, sondern um eine wertschätzende Begegnung auf Augenhöhe.

Mir fehlt hier ein Bewusstsein darüber …
dass Sichtbarkeit, die eindimensional und stereotyp ist
uns auch keinen Schritt weiter bringt.
Ansonsten würden leicht bekleidete, dünne Frauen die westliche Welt regieren.

Zur gegenwärtigen Diskussion um die Quote kann ich nur sagen:
Eine Frauen*quote und auch eine Quote
für migrantisierte, queere, Schwarze und PoC Positionen
ist wahrscheinlich eine Vorraussetzung
aber lange keine Garantie für das Ende struktureller Ausschlüsse.
Für Veränderungen bedarf es einer permanenten Befragung der eigenen Machtposition,
der eigenen Privilegien.

Ich glaube dass gerade Film, Video, Popkultur, Kunst und Kino wichtige Beiträge zur Entwicklung und Veränderung von Gesellschaft liefern können.
Bewegtes Bild und Geschichtenerzählen sind besonders leicht zugängliche Formen der Wissensvermittlung, des Diskussionsanstosses.
Ich habe z.B. zuallererst von Roseanne gelernt, was Feminismus ist.
Ich glaube an die Kraft von Phantasie und Überhöhung, Kino bedeutet für mich Traumfabrik und Raum für Reflexion und Experimente.

Zum Abschluss möchte ich nochmal bell hooks zitieren:
„Film does not exist for the purpose of giving us reality.
It should be pushing our imagination!“

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Veröffentlicht am 15. März 2016
Foto von Michael Ramsauer/Cinema Next

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