Soleil Film | Jürgen Karasek und Filip Antoni Malinowski
Porträts

Soleil Film | Jürgen Karasek und Filip Antoni Malinowski

Juni 2015

Am Anfang ihrer Filmografie stehen zwei lange Spielfilme. Dreimal bewarben sie sich an der Filmakademie Wien, leider vergeblich. Sie ließen sich nicht abschrecken, gründeten 2008 die Produktionsfirma Soleil Film, bauten ihr Netzwerk aus, feierten mit ihren Projekten Erfolge und geben ihr Know-How an junge FilmemacherInnen weiter. Jetzt, mit Anfang 30, stehen Jürgen Karasek (Jg. 1982 aus Wien, auf dem Portraitbild links) und Filip Antoni Malinowski (Jg. 1982 aus Posen/Polen) mit festen Beinen dort, wo sie sich vor 15 Jahren schon gesehen haben: Kino zu gestalten.

SOLEIL FILM ist eines unserer zwei Portraits von jungen, aufstrebenden Produktionsfirmen, die von kreativen FilmemacherInnen geführt werden und auch junge FilmemacherInnen einbinden und fördern.

1. Spielfilm mit 19 Jahren
– und endete auf Intensivstation

„Film ist Krieg, Film muss man sich erkämpfen.“ Das wurde Filip bei der Filmakademie-Aufnahmeprüfung gesagt. Er sei zu jung und zu sensibel, sagten die Prüfer.

Er hätte ihnen vom Sommer erzählen sollen:

Filip und Jürgen haben sich nach dem Bundesheer im Sommer 2002 zufällig beim Urlaub in der Türkei kennen gelernt. Jürgen habe im Bundesheer ein langes Drehbuch geschrieben, erinnert sich Filip. Für Jürgen war dies das Ergebnis aus den Jugendjahren, als er sich immer schon für Geschichten interessierte und auch schon Filmaufnahmen mit der Kamera seines Vaters machte. Für Filip war Film ganz neu. Noch nie hatte er eine Kamera in der Hand gehalten, noch nie einen Film gemacht: „Ich habe mich gefragt, was willst du jetzt mit deinem Leben tun? Willst du Wirtschaft und Marketing studieren? Oder doch was Kreatives?“ Im Sommer 2002, am Strand in der Türkei, fiel die Entscheidung. Das Drehbuch lag da, die Freundschaft vor ihnen, für beide war klar: bevor sie sich gemeinsam für die Filmakademie Wien bewerben, machen sie noch – mit jungen 19 Jahren – ihren ersten langen Spiefilm!

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Am Set von ¿Donde está Ramon? – dem ersten gemeinsamen Spielfilm, gedreht im Sommer nach dem Bundesheer.

Beim Dreh kam es zum Unfall. Gedreht wurde in einer Metallfabrik in Atzgersdorf. Als Scheinwerfer aufgedreht wurden, wurde Filip, der selbst erlernte Kameramann, geblendet. Er fiel in ein Loch, verletzte sich schwer: Intensivstation mit Milzriss. Jürgen besuchte ihn jeden Tag.

Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus blieben nur noch 2 Wochen Zeit für das Bewerbungsvideo für die Filmakademie. Auch das haben die beiden noch hingekriegt.

Vielleicht war das noch nicht der gewünschte Krieg, aber nach hartem Kampf ohne Schonung klingt das allemal.

Mit 22 Jahren den 2. langen Spielfilm

Beide flogen bei der Aufnahmeprüfung in der letzten Runde raus. Filip wollte Kamera, Jürgen Drehbuch studieren. Sie haben dann an der Universität Wien mit dem Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften begonnen. Jürgens zweites Bildungsinteresse galt der Psychologie, Filip ging – nachdem sie noch zwei weitere Male von der Filmakademie abgelehnt wurden – ab 2004 an die Akademie der bildenden Künste und studierte dort zunächst Fotografie und dann Film bei Harun Farocki.

Nach ein paar kürzeren Filmen gingen sie 2005 bereits ihren zweiten langen Spielfilm an: Warten auf den Mond. Buch und Regie: Jürgen. Kamera: Filip.

Trailer Warten auf den Mond, AT 2008, 75 min:

„Die früheren Arbeiten hatten immer etwas experimentellere Zugänge“, erinnert sich Jürgen. „Nach der letzten gescheiterten Bewerbung für die Filmakademie im Jahr 2004 habe ich mich hingesetzt und gesagt, ich möchte ein Drehbuch schreiben, das von vorne bis hinten funktioniert und auch den formalen Kriterien entspricht.“ Er hat sich intensiv mit Drehbuchtheorie beschäftigt und dann ein, wie er sagt, „ganz klares“ Drehbuch geschrieben.

Zwar hatten sie erstmalig ein Budget, aber für einen langen und aufwändigen Spielfilm – viele Szenen spielten im Jahr 1000 und es gab drei Drehphasen – sind 55.000 Euro nicht viel. Drei Jahre haben sie an dem Film gearbeitet, alles an Ressourcen, Zeit und Energie reingesteckt, die Hälfte des Films auf Filmresten gedreht, manchmal ohne Schlaf gearbeitet, um im Zeitplan zu bleiben.

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Set-Bilder von den Dreharbeiten zu Warten auf den Mond

„Mit einer Prise Naivität
und Selbstüberschätzung gewachsen“

Filip sagt heute:

„Ich kenne eigentlich kein Beispiel, wo wir als Team oder auch künstlerisch gewachsen sind, wo nicht auch eine Prise Naivität und Selbstüberschätzung mit dabei war. Weil man nicht gewusst hat, was es bedeutet. Es war halt ein Jugendeifer, eine Euphorie, ein Abenteuer: Ja, des mach’ma! Natürlich beantragen wir jetzt Fördergelder! Wir machen jetzt diesen Spielfilm und natürlich drehen wir auf 16mm, obwohl wir das noch nie gemacht haben!“

Jürgen sagt:

„Wir haben uns immer sehr große Ziele gesteckt. Und haben am Hinarbeiten dorthin erst zu wachsen begonnen. Objektiv betrachtet waren die Ziele natürlich viel zu hoch gegriffen. Es haben uns auch Leute immer wieder gewarnt, dass wir das nicht hinkriegen.“ Zusatz: „Wahrscheinlich würde ich das anderen Leuten heute auch so sagen.“

Vielleicht auch deshalb haben sie begonnen, ihr Know-How auch anderen, die dort stehen, wo sie selber vor 10 Jahren standen, weiterzugeben. „Den Geist zu pflegen, wie wir selber angefangen haben“, beschreibt Filip ihr Engagement für junge FilmemacherInnen wie Alexandra Makarová, Nikolaus Müller, Sebastian Schmidl, Jasmin Baumgartner oder Franz Maria Quitt, die mit Hilfe von Soleil ihre Kurzfilme realisieren konnten. (Zwei davon zeigen wir am 2. Juni 2015 bei einer Cinema Next Premiere.) Damit sei zwar kein Geld zu verdienen, aber einen Kurzfilm pro Jahr würden sie hoffentlich weiterhin begleiten können.

„Mit Projekten wachsen und weiterkommen“

Mit der Premiere von Warten auf den Mond auf der Diagonale 2008 in Graz war klar: Sie haben genug Produktionserfahrung, um ihre zukünftigen Projekte innerhalb einer eigenen Struktur zu gestalten. Ihre gegründete Firma Le Groupe Soleil war anfänglich als Kollektiv gedacht, heute heißt sie Soleil Film und besteht aus einem Team von vier Personen.

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Firmenfoto des Gründungsteams der Soleil Film GmbH. Jürgens Schwester Alice stieg aus dem Tagesgeschäft aus, bleibt aber Mitgesellschafterin.

Anfänglich hielten sie sich mit dem Verleih einer der ersten RED-Digitalkameras in Österreich (die sie sich ankauften) über Wasser. Filip jobbte als Colorist und Kameraassistent, Jürgen schrieb an neuen Projekten – und realisierte mit Novemberlichter einen eigenen, sehr persönlichen und erfolgreichen Kurzfilm.

Trailer zu Novemberlichter (2012, 30 min):

Dann folgte ein Projekt, das für Soleil Film wieder richtungsweisend war: Maria muss packen – ein Dokumentarfilm über Filips Großeltern in Polen (er selber kam nach dem Fall der Mauer nach Österreich), die im hohen Alter aus ihrer Wohnung ausziehen müssen. (Der Film wird am 12. Juli, 22 Uhr, auf 3sat ausgestrahlt.)

Trailer zu Maria muss packen, AT 2012, 72 min:

Die Weltpremiere von Maria muss packen beim Krakau Filmfestival 2012 nahmen sie als Anstoß, sich neu zu öffnen, weiterzubilden, andere Förderstrukturen in Europa kennen zu lernen und nach Stoffen und Menschen, mit denen sie arbeiten wollen, zu suchen. Jürgen: „Bei den ersten Projekten, die wir gemacht haben, wussten wir, dass wir keine Förderstrukturen anzapfen können. Für uns aber war es eine Möglichkeit, an interessanten Projekten zu arbeiten und mit diesen Projekten zu wachsen und weiterzukommen.“

Ihr bisher größter Erfolg einer solchen Koproduktion ist Olya’s Love, ein Film über ein lesbisches Paar in Russland, der Weltpremiere auf der IDFA 2014 in Amsterdam feierte und nun auf vielen Festivals zu sehen ist. Das Projekt haben sie beim Baltic Forum in Riga kennen gelernt. „Wir haben gesehen, dass es der Regisseur Kirill Sakharnov schwer haben wird, diesen Film in Russland zu machen“, sagt Jürgen. Es sind genau solche Projekte, mit denen sich Soleil Film positionieren will: sozio-politisch relevante Filme, die auch schwierig sein können.

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Filmplakat zu Olya’s Love, Russland/Österreich 2014, 68/52min

„Einerseits Markterwartungen erfüllen,
andererseits innovativ und kreativ sein“

Auch Filips aktuelle Projekte haben einen politischen Bezug. Ein Projekt (Sibirien, über das Leben in einer post-sowjetischen Industriestadt) ist in Entwicklung, ein anderes (The Conference, über die UN-Klimaschutzkonferenz in Paris) soll im Dezember gedreht werden, sofern die Herstellunsgsförderung kommt.

The Conference wäre der nächste große Sprung für Soleil Film. Eine majoritäre Koproduktion mit einer deutschen Produktionsfirma und einem Budget von 780.000 Euro.

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The Conference: „Wenn es gelingt, kann das ein sehr großer, erfolgreicher Film werden“, meint Jürgen.

Filip lächelt und gesteht: „Früher verspürte ich ausschließlich Euphorie, jetzt kommt natürlich auch ein gewisser Druck dazu, der mich manchmal auch etwas schlechter schlafen lässt …“

Gut, dass er, der sich mehr als der energische Typ, der Sachen offensiv angeht, bezeichnet, seinen Partner zur Seite hat: „Jürgen schaut, dass die Dinge nachhaltig und dauerhaft funktionieren. Das ergänzt sich energetisch. Das ist wie ein Schwingungsprozess, der ganz gut ist.“

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„Wir sind zwei Menschen, die recht unterschiedlich sind, aber doch eine gemeinsame Basis haben“, sagt Filip über die Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Jürgen und ihm.

„Jetzt wächst natürlich auch die Verantwortung“, betont Jürgen, der selber ein Spielfilmdrehbuch beim ÖFI in Entwicklung hat und auf baldige Projektentwicklung hofft. „Man muss sich in einer gewissen Form an Begebenheiten, an Kriterien anpassen – in dem Rahmen, in dem es sein muss. Obwohl ich kein Freund von zu viel Anpassung bin. Aber man muss die Balance halten: einerseits die Markterwartungen erfüllen, andererseits innovativ und kreativ sein.“

Das klingt nach einer gesunden und mittlerweile sehr erwachsenen Einstellung. Wir wünschen uns aber auch, dass Filip und Jürgen die Prise jugendliche Naivität und Selbstüberschätzung nicht ganz verlieren …

von Dominik Tschütscher, im Mai 2015

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