Anna Sophia Rußmann| BMKÖS Startstipendiatin 2022
Porträts

Anna Sophia Rußmann| BMKÖS Startstipendiatin 2022

Januar 2023

Schreiben bringt mich in eine Art Zustand der Makroaufnahme

 

Anna Sophia Rußmann, 1994 in Oberösterreich geboren, studierte bis 2021 Fotografie (bei Gabriele Rothemann) und Sprachkunst (bei Ferdinand Schmatz) an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2018 hat sie das Studium Bildtechnik und Kamera an der Filmakademie Wien begonnen und arbeitet als freischaffende Künstlerin und Filmemacherin. Für das Startstipendium 2022 hat Anna Sophia sich mit Nach oben kein Ende beworben, einem „experimentellen Spielfilm“ über einen anti-utopischen Rückzugsort der Reichen im Salzkammergut.

 

Vor deinem Kamera-Studium an der Filmakademie hast du bereits Fotografie / Bildende Kunst studiert. Woher kam der Wunsch, von der Fotografie auch zum Bewegtbild zu wechseln?

Anna Sophia Rußmann: Film und Fotografie haben sich bei mir parallel zueinander entwickelt und wechselseitig beeinflusst. Vor allem das kollaborative Moment im Film ist etwas, das mir in der bildenden Kunst oft fehlt. Durch die Strukturen, in denen Film produziert wird, ist die Zusammenarbeit viel naheliegender und hält somit die Möglichkeit bereit, der Frage nach Autor*innenschaft eine andere Rolle und vielleicht auch Gewichtung als in der bildenden Kunst zu geben. Die letzten Filmprojekte habe ich gemeinsam mit Kilian Immervoll realisiert. Das Arbeiten in sehr kleinen Teams bietet das Potenzial, sich den Umgang miteinander selbst zu gestalten und inklusive Produktionsbedingungen für alle zu schaffen – abseits der gängigen Hierarchien.

In meiner skulpturalen Arbeit versuche ich die einzelnen Objekte als Wesen zu denken, denen einen bestimmtes Eigenleben innewohnt – die beschützt, behütet oder gestützt werden müssen. Es passiert also hier bereits die Zuschreibung eines narrativen Charakters und sie werden zu Protagonist*innen des jeweiligen Settings. Die Fotografie verwende ich dabei als eine Art Mystifizierungswerkzeug – da sich die Oberfläche und Haptik der Skulpturen auf der fotografischen Bildebene ja nicht mehr überprüfen lässt und dadurch ein Stück weit ein Geheimnis bleibt.

Nun beschämt es mich, dem Impuls nicht gefolgt zu sein, das Geschehen sofort zu verlassen
Objekt und Fotografie. © Anna Sopha Rußmann

Cause my dreams are heavy
Ausstellungsansicht Universitätsgalerie Sala Terrena, Heiligen Kreuzerhof, 2021. © Jorit Aust

Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt Nach oben kein Ende, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

NACH OBEN KEIN ENDE erzählt in drei Episoden die Geschichte einer jungen Frau, die sich auf der Suche nach Entschleunigung und Selbstfürsorge auf einen Kuraufenthalt ins Salzkammergut begibt. Der Luftkurort Altaussee wird dabei zum Motiv eines Gedankenexperiments für eine mögliche nahe Zukunft, in der Großinvestoren vollkommen dereguliert ihre turbokapitalistischen Tourismus-Fantasien ausleben und das Salzkammergut zum letzten Rückzugsort der Superreichen wird. Die Idylle soll im Laufe der Episoden dekonstruiert werden, bis schlussendlich hinter der Wellnessfassade eine komplett ausgehöhlte Dorfstruktur sichtbar wird.

Land und Traditionen hast du gemeinsam in Ko-Regie mit Kilian Immervoll schon bei eurem Musikvideo Wückis zam zur Rap-Musik von Heinrich Himalaya thematisiert. Diese Landschaften sind womöglich nicht nur landschaftlich schön. Was interessiert oder fasziniert dich am „Heimatfilm“ oder an dem, was man mit „heimatlich“ assoziiert?

Mit NACH OBEN KEIN ENDE untersuche ich die Auswirkungen des Tourismus und der damit einhergehenden Kommerzialisierung und Verwertung von Landschaft. Der Heimatbegriff wird in Österreich stark vom Tourismus besetzt – „mächtige Hochgebirge, dunkle Bergwälder und kristallklare Seen“ sind prototypische Beschreibungen österreichischer Landschaft. Dabei wird gerne übersehen, dass diesen Zuschreibungen eine hochstilisierte Vorstellung von Natur und Landschaft zugrunde liegt, die in diesem Fall ganz klaren Verwertungsstrategien folgt. Obwohl das Projekt sich inhaltlich auf die gegenwärtigen kommunalpolitischen Entwicklungen Altaussees konzentriert und diese ins Extreme weiterdenkt, stehen diese Entwicklungen hinsichtlich des Tourismus stellvertretend für ein globales Problem, das sich neben den Extrembeispielen wie Amsterdam oder Venedig auch bereits im Salzkammergut – nämlich in Hallstatt – abzeichnet.

Altaussee ist als Schauplatz dabei deshalb so spannend, da es momentan vor einer Richtungsentscheidung steht – in der noch die Möglichkeit besteht, alternative sanftere Formen des Tourismus einzuleiten, um so die Region nachhaltig zu schützen. Während das Musikvideo Wückis zam sich mit einem Augenzwinkern der Ästhetik des Heimatfilms bedient, behandelt NACH OBEN KEIN ENDE eher eines der Hauptthemen des Heimatfilms – nämlich den Tourismus.

Musik scheint in deiner Arbeit eine wesentliche Rolle zu spielen: Du hast schon viele Musikvideos (als Regisseurin und/oder als Kamerafrau) realisiert, wobei du dich hier nicht vor experimenteller Musik – in Kreis (2021) von Ralph Mothwurf Orchestra, in Babyelefant (2022) von Ensemble Kuhle Wampe – scheust. Interessanterweise sind zumindest diese beiden Videos dann doch sehr fiktional erzählt. Auch bei deinem neuen Filmprojekt spielt Musik eine gestaltende Rolle. Wie versuchst du, diese Elemente – Musik, Bild, Erzählung/Dramaturgie – zu verzahnen?

Das Projekt wird von Komponist und Musiker Ralph Mothwurf begleitet, dessen Kompositionen bereits während dem Schreibprozess aktiv als Elemente mitgedacht werden. Mit kleinen kammermusikalischen Ensembles aus den Mitgliedern des Ralph Mothwurf Orchestras werden mehrere Kompositionen realisiert, die durch ihre Blech- und Holzblasinstrumentierung zwar klangliche Assoziationen zur traditionellen Musik des Salzkammerguts ermöglichen – trotzdem einen klaren Bruch zur vermeintlich idyllischen Landschaft darstellen. Zusätzlich dazu sind die Musiker*innen auch als Figuren im Drehbuch angelegt und tauchen als sich wiederholendes Element in jeder Episode auf. Sie sollen ein kleiner Verweis auf das stark ausgeprägte Vereinswesen im Salzkammergut sein.

Ihr musstet euch für das Startstipendium mit einem Langfilmprojekt bewerben. Du hast in deiner bisherigen Filmografie vor allem kürzere (narrative) Arbeiten. Wie gehst du den Schreibprozess an?

Schreiben bringt mich in eine Art Zustand der Makroaufnahme, ein kartografischer Blick, der mich organisch von einer Detailbeobachtung zur nächsten führt. Dadurch ist das visuelle Grundgerüst bereits eng im Text eingewebt. Die Szenenentwürfe sind dabei prosaförmig und nicht klassisch in Drehbuchform angelegt. Vermutlich werde ich mir dafür im Anschluss noch dramaturgische Hilfe holen.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt Noch oben kein Ende derzeit und was wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Momentan arbeite ich noch am Text. Wir werden jedoch bereits noch dieses Jahr mit den Dreharbeiten der ersten Episode beginnen. Dadurch dass Kilian Immervoll und ich die Dreharbeiten sehr offen und fragmentarisch angehen, wird zwischen den einzelnen Blöcken Zeit sein, immer wieder zu rekapitulieren. Die Produktionsphase wird also parallel zur Postproduktion verlaufen und sich wechselseitig beeinflussen können. Es steht also noch sehr viel Arbeit an.

Porträtfoto © Cinema Next / Igor Ripak