Kathrin Steinbacher | Animationskünstlerin
Porträts

Kathrin Steinbacher | Animationskünstlerin

Oktober 2020

Aus Freude an der Ungenauigkeit

 

Kathrin Steinbacher springt gern ins kalte Wasser. Das hat sie aus dem Pongau nach London gebracht, wo sie inzwischen ein Animationsstudio betreibt. Und mit einem ihrer Trickfilme bei den renommierten BAFTAs nominiert war. Doch ihr Aufstieg hat mit Karrierismus nichts zu tun. Vielmehr zeugt er von einer Lust am Ausprobieren. Und an Beweglichkeit und Spontaneität, die auch Kathrins eigenwillige Animationskunst beflügeln. Ihre aktuellste Arbeit, In Her Boots, ist im Oktober im Rahmen der Cinema Next Tour zu sehen.

„Als Teenager habe ich nicht viel gezeichnet“, meint Kathrin Steinbacher. An ihrer Schule gab es keinen Kunstunterricht. Und ihr Interesse an Trickfilmen hielt sich in Grenzen. Kaum zu glauben: Denn die Animationsperlen, die die 31-jährige Wagrainerin heute auftischt, sprühen nur so vor Freude an Farben und Formen, Linien und Schattierungen.

Es handelt sich um Früchte eines langen Entwicklungsprozesses. Die Leidenschaft, die hinter Kathrins Schöpfungen steckt, ihre technischen Fertigkeiten: All das wurde Stück für Stück freigelegt und entfaltet. In Wagrain war „Animationskünstlerin” nämlich kein gängiger Karriereweg, im Gegenteil. „Wenn man das nicht aus seinem Umfeld kennt, kommt man auch nicht auf die Idee, es selbst zu machen.”

Kathrin Steinbacher im Pongau.

Dass sie sich kreativ betätigen wollte, wusste Kathrin aber schon immer. Auch der Wunsch, über die Landesgrenzen zu blicken, brannte ihr unter den Nägeln. Nach der Matura war sie als Au-pair in London. „Die Stadt gefiel mir sehr, sie war so divers und multikulturell. Für jemanden, der in einem Dorf am Land aufgewachsen ist, ist das ein eindrucksvoller Kontrast.”

Wer in England ein Kunststudium verfolgen will, muss ein „Art Foundation Diploma” erwerben. „Das dauert ungefähr ein Jahr, und man kann alles durchprobieren: Mode- und Grafikdesign, Illustration, Architektur.” Angeregt von ihrer ersten Auslandserfahrung bewarb Kathrin sich bei einer Londoner Kunstuni – „aus Jux”, wie sie heute sagt. „Ich glaubte nicht wirklich daran, dass sie mich nehmen könnten. Als es geklappt hat, war ich fast ein bisschen schockiert.”

Also ging Kathrin 2013 nach Großbritannien, mit dem Plan, für die Dauer des Diplomerwerbs zu bleiben. Daraus wurde nichts. Im Laufe des Kunst-Crashkurses entdeckte sie ihr Faible für Animation. „Wir haben uns mit Stop-Motion beschäftigt, 3D-Modelle gebaut, sie am Bildschirm in Bewegung versetzt. Ich war sofort gebannt.” Gleichzeitig fühlt sie sich eher im Zeichnerischen zuhause und hat ihr Sketchbook immer dabei. Was auch an ihrem Temperament liegt: „Beim Zeichentrick geht alles etwas schneller. Und ich bin ungeduldig – untypisch für jemanden, der Animation macht.”

Frame für The Woman Who Turned Into A Castle (AT/GB 2018, 4 min).

Entdeckt wurde ihr Talent bei einem Location-Drawing-Workshop: „Man geht durch die Stadt, skizziert, entwickelt Charaktere. Da geht der Wind, die Finger werden kalt. Man kann nicht lange überlegen, ob die Zeichnung ‚richtig’ aussieht oder nicht.” Fotorealismus war nie Kathrins Sache. „Dafür fehlt mir die Ausbildung. Ich mag das Spontane, Ungenaue.” Anfangs war sie eingeschüchtert, glaubt aber inzwischen, dass ihr Ausbildungsmangel von Vorteil war: „Mein persönlicher Zugang stach heraus. Und wurde von den Tutoren, die sehr passioniert waren, unterstützt und gefördert.”

Also bewarb sie sich im Anschluss an der Kingston School of Arts. Der Bachelorkurs hieß „Illustration & Animation”. Im zweiten Jahr musste man sich spezialisieren. „Der Wechsel vom stillen zum bewegten Bild war für mich der logische nächste Schritt.” Die Frage, ob sie zurück nach Salzburg wollte, stellte sich nicht mehr. Dort wartete ein Multimediaart-Studium, das eher industriell orientiert war. Kathrin interessierte Kunst.

Das Studium empfand Kathrin als ausgesprochen fruchtbar: „Wir haben irrsinnig viel voneinander gelernt.” Bald konnte sie erste Erfahrungen als Freiberuflerin sammeln, auch dank Social Media. Stills und Illustrationen, die sie auf Instagram gepostet hatte, erregten die Aufmerksamkeit des Pop-Philosophen Alain de Botton. Er beauftragte sie mit einer Animation für sein YouTube-Projekt The School of Life. Nicht schlecht für einen Erstlingsjob: „Ich war nervös, durfte mein Konzept aber relativ frei entwickeln. Und zum Glück hat es gleich gepasst.”

Ihr Abschlusskurzfilm Freedom (GB 2017, 3 min) war hingegen eine sehr persönliche Angelegenheit. Er handelt von Kathrins Bruder, der nach dem Ende seiner Skisportler-Tätigkeit mit Depressionen rang. Und fußt auf privaten Interviews, die in Ausschnitten zu hören sind. „Mich hat das damals extrem beschäftigt. Also habe ich Privates und Berufliches verbunden, um die Sache aufzuarbeiten. Sonst wäre es vielleicht gar nicht gegangen.”

Nach dem Bachelor hatte Kathrin die Möglichkeit, sich ins Berufsleben zu stürzen. Doch sie fühlte sich noch nicht bereit. „Die Entstehung unserer Filme folgte in Kingston einem standardisierten Schema. Ich wollte aus meiner Komfortzone raus, andere Methodiken ausprobieren.” Deswegen belegte sie ein Masterstudium am Londoner Royal College of Art, das den Ruf hat, Studierenden Raum für Experimente zu lassen. Gleich ihr erster Film dort war eine sogenannte „Straight Ahead”-Animation ohne Storyboards und Stützzeichnungen. „Das Risiko ist höher, die Planung schwieriger. Man muss sich auf seine Instinkte verlassen.”

Die dokumentarische Grundierung von Freedom war ein Ansatz, den Kathrin hier unbedingt weiterverfolgen wollte. „In der Industrie war das damals noch relativ unüblich. Aber mich hat die Verbindung von Animation und Dokumentation fasziniert. Auch, weil man so Gefühlswelten zum Ausdruck bringen kann, die sich mit Worten nur schwer vermitteln lassen.”

Erste grobe Skizzen für The Woman Who Turned Into A Castle (AT/GB 2018, 4 min).

 

Farbtests aus The Woman Who Turned Into a Castle.

Genau das gelingt Kathrins Arbeiten, die sie im Rahmen ihres Masterstudiums realisierte. The Woman Who Turned Into A Castle (AT/GB 2018, 4 min) entstand im ersten Studienjahr im Zuge einer Kooperation mit der Welcome Collection – einem Museum mit großem medizinischem Archiv. Bei der Recherche vor Ort stieß Kathrin auf die Patientenakte einer Frau, die 1969 mithilfe des Wirkstoffs L-DOPA aus einem Schlafkrankheitskoma geweckt wurde – als 21-Jährige im Körper einer 64-Jährigen. Der Kurzfilm zeigt uns die Welt aus ihrer Perspektive, als unstete, bedrohliche Dimension, deren Reizüberflutung befremdet. Und stellt ihre Entscheidung, das Medikament wieder abzusetzen, zur Debatte. „Meine Filme verhandeln oft schwierige Themen”, notiert Kathrin. „Aber sie sind nie hoffnungslos.”

The Woman Who Turned Into A Castle lief erfolgreich bei Festivals. Und brachte neue Auftragsarbeiten. Eine Notwendigkeit: Die Lebenshaltungskosten in London sind enorm hoch. Parallel zum Studium animierte Kathrin Musikvideos. Und ist nach wie vor als Illustratorin tätig. Zusammen mit Martina Fuchs hat sie in Österreich zwei Kinderbücher gestaltet. Eine willkommene Herausforderung: „Wenn mir nur ein Bild zur Verfügung steht, muss ich sehr genau überlegen, was ich hineinpacke.”

Ausschnitt aus dem Kinderbuch Der Krallowich, illustriert von Kathrin Steinbacher.

In Her Boots (AT/GB 2019, 6 min), im Entstehen.

Kathrins RCA-Abschlussfilm In Her Boots (AT/GB 2019, 6 min) war ihr bislang aufwendigstes Projekt: Das Porträt einer alten Frau, die mit Demenz lebt. Der Sechsminüter wechselt nahtlos zwischen Innen- und Außenwahrnehmungen seiner Hauptfigur hin und her. Und ist alles andere als schwermütig. Sozialer Druck seitens einer Nachbarin, die sich über den verwahrlosten Zustand der großmütterlichen Wanderschuhe beschwert, verblasst im Angesicht einer ungschamigen, humorvoll aus dem Ruder laufenden Fantasie.

Acht Monate brauchte Kathrin für diese betörende Miniatur, die von ihrer eigenen Großmutter inspiriert wurde. „Animation ist sehr zeitintensiv. Für drei Sekunden braucht man meistens einen Tag. Ich habe mich eingebunkert, um mich voll auf den Film konzentrieren zu können. Anders hätte ich es nicht geschafft.“ Auf der Tonspur sorgt Pongauer Dialekt für zusätzliche Authentizität. „Dass ich die Salzburger Schauspielerin Verena Altenberger als Sprecherin gewinnen konnte, freut mich sehr.”

Ästhetisch ist der Film ein bunter Ausdruckstanz der Striche und Texturen, dessen Bewegungen helfen, den zeitweiligen Orientierungsverlust der Protagonistin nachzuempfinden. Er bringt Kathrins künstlerische Philosophie auf den Punkt: „Mit welchen Materialien ich arbeite, hängt immer vom Thema ab. Geht es um rohe Emotionen, will ich das in den Bildern spüren. Jede Linie kann etwas kommunizieren.”

Bei In Her Boots, der digitale und analoge Techniken mischt, nutzte Kathrin Photoshop-Pinsel, die Gouache und Wasserfarben nachahmen. Die Hintergründe und Berglandschaften wurden analog hergestellt und eingescannt. „Digital ist schneller. Aber Skizzen und Storyboards, die ganze Konzeption, das mache ich immer mit Stift und Papier. Es fühlt sich einfach natürlicher an.”

Storyboards zu In Her Boots.

Still aus In Her Boots.

Ein Zugang, der sich bezahlt macht. In Her Boots erntete eine Nominierung bei den British Academy Film Awards (kurz: BAFTA). Eine kleine Sensation. Wie so oft hatte Kathrin nicht mit dem Erfolg gerechnet, als sie den Film einreichte. Umso erfreulicher war die Überraschung. „Tatsächlich treten jetzt mehr Festivals von selbst an mich heran.”

An ihren bisherigen Filmen tüftelte Kathrin meist im Alleingang, obwohl Arbeitsteilung im Trickfilmbereich gang und gäbe ist. Doch in der überschaubaren britischen Szene ist sie mittlerweile gut vernetzt. Eine besondere Freundschaft und Partnerschaft verbindet sie mit ihrer einstigen Kommilitonin Emily Downe. Unlängst gründeten die beiden ein eigenes Animationsstudio: Studio Desk.

Dabei geht es vor allem um Selbstbestimmung. „Es gibt sehr viele Animationsfilmstudentinnen, aber die Industrie spiegelt das nicht wider.” Absolventinnen und Absolventen werden in England oft von großen Studios unter Vertrag genommen, die sie dann an Firmen vermitteln. „Die Kingston-Universität hat damals sogar Studiobesuche organisiert. Das Umfeld, das wir da gesehen haben, war sehr männerdominiert. Und wirkte nicht besonders einladend.” Insofern stellt Studio Desk einen Schritt in Richtung Unabhängigkeit dar. Und soll den Balanceakt zwischen künstlerischen und kommerziellen Projekten erleichtern.

Die kurz nach Pandemiebeginn unter dem neuen Banner entwickelte Omnibus-Produktion Flatten the Curve (2020, 6 min) traf gleich den Nerv der Zeit. „Wir wollten die Lockdown-Phase produktiv nutzen. Und dabei ein bisschen gute Stimmung verbreiten. Also riefen wir auf Instagram dazu auf, uns animierte Kurzclips über positive Lockdown-Erfahrungen zu senden.” Die Ausschreibung stieß auf erstaunlichen Anklang. Und das Resultat fand große mediale Resonanz. Besonders online, was kaum verwundert: Die Kurzfilm-Trilogie, eine vergnügliche Quarantäne-Clipshow mit hoher stilistischer Bandbreite, fasst über hundert Einreichungen von Student/innen und etablierten Künstler/innen.

Inzwischen hat Studio Desk auch einen größeren kommerziellen Auftrag an Land gezogen. Für die Webseite der Denkfabrik „TED Talks” produzieren Kathrin und Emily Animationsfilme über Schlafforschung. „Die Zeit ist bei solchen Aufträgen begrenzt. Da muss man sich auch Freiberufler ins Boot holen, was wir gerne tun.” Grunddesign und Regie liegen bei den Leiterinnen, aber Kathrin ist kein Kontrollfreak: „Die Vorstellung, die man anfangs im Kopf hat, erreicht man am Ende nie. Das muss man akzeptieren.”

Weiters in der Pipeline ist ein (animierter) Dokumentarfilm über den Gender Gap in der Animationsbranche. Auch dafür will Kathrin das mit 10.000 Euro dotierte Jahresstipendium für Film nutzen, das sie im Frühjahr vom Land Salzburg erhielt. Doch im Vordergrund steht derzeit der Plan einer Ausweitung von In Her Boots zu einem Langfilm. „Mir gefällt die Idee, gefilmte und animierte Szenen zu verknüpfen.” Spielfilmerfahrung hat Kathrin nicht. Es wäre ein Sprung ins kalte Wasser. Also etwas, womit sie sich auskennt.

von Andrey Arnold, im September 2020
Fotos, Zeichnungen und Filmstills zur Verfügung gestellt von Kathrin Steinbacher
www.kathrinsteinbacher.com