Meike Wüstenberg| BMKÖS Startstipendiatin 2023
Porträts

Meike Wüstenberg| BMKÖS Startstipendiatin 2023

Januar 2024

„Ich wage mich gerne an empfindliche Themen heran

 

Meike Wüstenberg, 1994 in Berlin geboren und aufgewachsen, studierte zunächst Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und begann 2018 das Regie-Studium an der Filmakademie Wien bei Michael Haneke. Ihr Kurzfilm Das Ende vom Ende der Welt (2022) feierte beim Tallinn Black Nights Filmfestival in Estland internationale Premiere. Für das Startstipendium 2023 hat Meike sich mit einer Spielfilmidee beworben, die im Berliner Nachtclub-Milieu spielt und von Verletzlichkeit, Stärke und Männlichkeit handelt.

 

Bevor wir zu deinem aktuellen Filmprojekt kommen: Wie bist du eigentlich zum Film gekommen, was interessiert dich daran?

Meike Wüstenberg: Ich habe mich dem Film zuerst im Rahmen meines Studiums der Medienwissenschaft genähert. Dort habe ich einige Film- und Kameraseminare besucht und einen Kurzspielfilm als Projektarbeit realisiert. So habe ich zum ersten Mal Regie geführt und mit Schauspieler:innen gearbeitet. Das hat mir so gut gefallen, dass mein nächster Kurzfilm bereits für die Bewerbung an Filmschulen entstand. Es ist auf jeden Fall die Arbeit mit dem Schauspiel, die mich am meisten an dem Regieberuf interessiert. Eine Stimmung einzufangen; einen Moment authentisch zu reproduzieren; einen Charakter zu gestalten, mit dem das Publikum mitfühlt – das ist die Herausforderung und der Reiz an der Arbeit am Film.

Das Medienwissenschaftsstudium habe ich ebenfalls mit einem Kurzspielfilm abgeschlossen. Das ist zwar unüblich für diesen Studiengang, aber mein damaliger Professor entschied, dass man sich den Leidenschaften junger Studierender nicht in den Weg stellen sollte.

Dein letzter Kurzfilm Das Ende vom Ende der Welt handelt von zwei Schülerinnen, die den Amoklauf an der Columbine Highschool nachmachen wollen. Eine durchaus verstörende Thematik. Bei manchen Screenings wurde der Film mit Triggerwarnung vorgeführt. Kannst du beschreiben, was dich an diesem Stoff interessierte?

Bei dieser Geschichte habe ich mich sehr dafür interessiert, wie weibliche Gewalt aussehen kann. Ich sehe den Film ein bisschen als Hypothese – ich wollte zwei Mädchen erzählen, denen man glaubt, dass sie zu einem solchen Massaker fähig wären, ohne ihnen stereotypisch maskuline Attribute zuzuschreiben. Ich finde es spannend, von Grenzüberschreitungen zu erzählen und wage mich auch gerne an empfindliche Themen heran. Der Film thematisiert und inszeniert Gewaltfantasien, was immer eine Gratwanderung ist. Mir war es wichtig, diesem Handlungsstrang gerecht zu werden und gleichzeitig unsere Haltung zu Waffengewalt klarzumachen.

Hinter dieser Grundthematik geht es bei beiden Protagonistinnen aber auch um Verletzlichkeit, Orientierungslosigkeit in der Pubertät und das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis von Teenie-Freundschaften. Diese Widersprüchlichkeit und Gleichzeitigkeit von Gewaltbereitschaft und Fragilität hat mich an der Geschichte besonders gereizt.

Trailer zu Das Ende vom Ende der Welt (2022, 26 min). Der Film ist beim Streamingdienst Joyn kostenfrei zu sehen.

Worum geht es im Spielfilmprojekt, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Im Mittelpunkt steht der Protagonist Freitag, der sowohl Türsteher in einem Nachtclub als auch Ringrichter beim Amateurboxen ist. In beiden Jobs achtet er darauf, dass sich Leute an die Regeln halten. Er sorgt für Ordnung, passt auf und ist gleichzeitig eine Figur im Hintergrund. Er begegnet dem jüngeren Boxer Marco und erkennt, dass Marco Hilfe braucht. Freitag entscheidet sich in einem Moment der Zivilcourage, nicht wegzuschauen. So beginnt eine ungewöhnliche, co-abhängige Zweckgemeinschaft zwischen Freitag, der sich schon lange mit seinem stereotypisch männlichen Umfeld arrangiert hat, und Marco, der seinen Platz in dieser Welt nicht finden mag. Im Grunde handelt der Film von Männlichkeit, Hilfsbereitschaft, Verwundbarkeit und den verschiedenen Facetten von Stärke in einem schroffen Milieu, das von Muskeln regiert wird.

Warum dieses männliche Milieu, warum eine „Männer“-Geschichte? Welche Perspektive willst du als Frau hier einbringen?

Ich arbeite selbst in einer Berliner Discothek als DJ und bekomme so auch die Türsteher des Clubs bei ihrer Arbeit mit. Aus meiner Perspektive als DJ und als Frau lerne ich die Türsteher anders kennen, als sie miteinander umgehen, und vor allem anders, als ein erster Eindruck preisgeben kann. Der Job verlangt ja eine gewisse Ausstrahlung. Ich finde den Beruf spannend. Der Türsteher ist das erste Gesicht, das man bei einem Clubbesuch zu sehen bekommt. Er ist eine Kontrollinstanz, soll aber nicht abschreckend wirken. Türsteher sorgen dafür, dass auch im Club Sicherheit gewährleistet ist. Sie müssen schnell reagieren und Situationen de-eskalieren. Gleichzeitig sollen sie aber Ruhe ausstrahlen und im Hintergrund bleiben. Die meisten Türsteher haben einen kräftigen Körperbau, viele von ihnen kommen vom Boxsport. Der erste Blick verspricht meist eine harte Schale. Wenn der Abend spät wird, setzt sich der ein oder andere Türsteher oft zu mir hinter das DJ-Pult. Manchmal haben wir dann die Gelegenheit, uns ein bisschen auszutauschen. In solchen Momenten kriege ich eine Ruhe, Wärme und Hilfsbereitschaft zu spüren, die hinter den kühlen Fassaden des Sicherheitspersonals steckt.

Ich denke, dass der Film nicht nur eine Männer-Geschichte ist, sondern eine Geschichte über eine bestimmte Gesellschaft und ihre Regeln. Ich finde es spannend zu untersuchen, wie Männer in diesem Kosmos mit ihren Körpern kommunizieren und wie sie ihre Körper als Sprache nutzen.

Das Ende vom Ende der Welt basiert auf einem Drehbuch von Filmakademie-Kollegin Sarah Hichri. Das neue Spielfilmprojekt schreibst du nun wieder selbst. Da du eigentlich in der Regie zuhause bist: Was sind für dich die Herausforderungen beim Schreiben eines langen Spielfilmstoffs?

Die endlosen Möglichkeiten! Es gibt unendlich viele Filme für ein Thema und einen Stoff. Oft habe ich schon eine klare Idee vom Thema, dem Milieu und den Figuren, weiß aber noch nicht, wo die Geschichte hinmöchte. Den Plot dann langsam einzukreisen kann dauern. Das Schreiben selbst geht mir dann meistens leichter von der Hand. Wenn ich die Figuren schon gut kenne, kann ich mich bereits in sie hineinfühlen und weiß, wie sie sich verhalten. Es fällt mir aber oft schwer, mich bis dahin festzulegen, was ihnen auf ihrem Weg passiert, welchen Umständen sie begegnen, in welchem Tempo ich die Geschichte erzählen möchte. Mir hilft dann am besten, darüber zu reden. Beim Erklären werden mir selbst die Dinge oft viel klarer.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt derzeit und was wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Ich habe das Stipendium genutzt, um die Geschichte zu entwickeln und ein Treatment zu schreiben. Der nächste Schritt ist dann das Drehbuchschreiben, worauf ich mich schon freue. Vorher muss ich der Sache noch einmal genau auf den Grund gehen. Biegt die Geschichte an allen Stellen richtig ab? Die größte Herausforderung ist, wie so oft, dranzubleiben. Denn parallel wollen andere Projekte entwickelt, geschrieben, gedreht und außerdem die Füße hochgelegt werden.

Welche Filme interessieren dich oder kommen dem am nächsten, wie du Filme machst?

Ich mag Filme, die überraschend sind, die mitreißen, die einen gewissen Punch haben. Whiplash von Damien Chazelle ist zum Beispiel einer meiner Lieblingsfilme. Ich finde es toll, wie die Musik und der Rhythmus über das Bild regieren. Ich finde, dass der Umgang mit den Instrumenten im Film immer wieder ein Action-Element etabliert, was mich sehr beeindruckt hat. Für mein neues Projekt hat mich der Film The Wrestler von Darren Aronofsky sehr inspiriert. Mickey Rourke hat in dem Film eine unglaubliche Ausstrahlung und mir hat die schmutzige Bildsprache sehr gefallen. Das Gleiche lässt sich auch über Der Geschmack von Rost und Knochen von Jacques Audiard sagen. Der Film hat bei mir auch noch lange nachgehallt.

Meike, aka DJ Fanta Maria, in der Hafenbar Berlin.

Am Ende noch eine ganz andere Frage: Wir wissen, du legst gerne auf und wir wissen auch welche Musik: Schlager! Woher rührt diese Faszination und hat die Schlagermusik womöglich etwas mit deinem Filmschaffen zu tun?

Da bin ich irgendwie so reingeraten! Auf eine ganz simple Art und Weise berührt die Musik einfach mein Herz. Allerdings lege ich nicht nur Core-Schlager auf, sondern ein breiteres Repertoire. Die Filetstücke der deutschsprachigen Musikgeschichte könnte man sagen. So direkt kann ich aber keine Brücke zu meinem Filmschaffen schlagen. Zumindest hat der Kitsch im Film nicht im Geringsten den gleichen Effekt auf mich. Ich würde aber jederzeit empfehlen, auch beim Schlagergenre etwas genauer hinzuhören. Zumindest stammt der Arbeitstitel meines Projekts Einsame Streiter aus einem meiner Lieblingssongs von einem deutschen Künstler. Kommt ihr drauf?

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Porträtfoto © Cinema Next / Martina Lajczak