Mo Harawe | Regisseur & Drehbuchautor, BKA Startstipendiat 2019
Porträts

Mo Harawe | Regisseur & Drehbuchautor, BKA Startstipendiat 2019

Februar 2020

Über die Paradoxie des Ankommens

 

Mo Harawes Filme kreisen um zwischenmenschliche Probleme von Menschen in der Fremde. Der gebürtige Somalier kam selbst als Flüchtling vor zehn Jahren nach Österreich. Die ungewöhnliche Erzählperspektive und seine reduzierte, präzis komponierte Bildsprache vermitteln eine Idee davon, wie sich eine solche Erfahrung anfühlen muss. Filmemachen sei für ihn fast wie eine Therapie, sagt Mo. Bisher war es nicht einfach für ihn, in der österreichischen Filmbranche Fuß zu fassen. Doch er lässt sich nicht entmutigen und kehrt mit seinem neuesten Drehbuch, für das er 2019 das BKA-Startstipendium erhalten hat, zu seinen Wurzeln zurück: Es handelt vom Alltag in Somalia. 

Nach drei Jahren sehen sich die beiden zum ersten Mal wieder: Die geflüchtete Syrerin und ihr Exfreund, der schon länger in Wien lebt. Vertraute Fremde irgendwo zwischen Slowenien und Österreich. Ahmed soll Aisha, die in Maribor gestrandet ist, illegal über die Grenze nach Wien bringen. Im Niemandsland zwischen altem und neuem Leben, schmerzhafter Erinnerung und ungewisser Zukunft sprechen sie über ihre gescheiterte Beziehung und das Fremdsein. „Ich dachte, ich gehe weg und komme irgendwo an. Aber das Paradox ist, dass ich niemals angekommen bin“, sagt Ahmed zu Aisha. „Ich bin hier und gleichzeitig nicht hier. Ich habe ein neues Leben und neue Freunde. Und gleichzeitig habe ich kein Leben und keine Freunde. Es fühlt sich an, als würde ich zwei unterschiedliche Rollen in demselben Film spielen.“

Die beiden sind die Protagonisten des Kurzfilms Die Geschichte vom Eisbär, der nach Afrika wollte (AT 2017, 28 min) von Mo Harawe. Wer könnte den Zustand eines Geflüchteten zwischen zwei Welten besser formulieren als der 28-jährige Regisseur und Drehbuchautor? Der gebürtige Somalier floh vor dem Krieg in seinem Land, landete selbst im Jahr 2009 als Asylsuchender in Traiskirchen und kam anschließend nach Graz. Seit 2016 lebt er in Wien, wo er an seiner Karriere als Filmemacher arbeitet, während er nebenher unter anderem kellnert und Videos schneidet, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Mittlerweile besitzt Mo einen österreichischen Pass, in seinem Heimatland war er seit seiner Flucht nicht mehr. Einige Kurzfilme hat der Regisseur bereits realisiert, auch ein paar Drehbücher für Langspielfilme hat er geschrieben. Für eines hat Mo auf der Diagonale’16 den Dor Film Preis für Drehbuchentwicklung bekommen: Nach Mogadischu heißt das Projekt, in dem die umgekehrte Fluchtgeschichte des somalischen Asylwerbers Geedi erzählt wird, der nach zahlreichen abgelehnten Asylanträgen in Wien beschließt, zu seiner großen Liebe nach Mogadischu zurückzukehren.

Shiraz Shahoud und Saad Al Ghefari in Die Geschichte vom Eisbär, der nach Afrika wollte (AT 2017, 28 min).

In seinen Filmen und Stoffen fällt neben den pointierten Dialogen und den reduzierten, präzis komponierten Bildern die ungewöhnliche Perspektive auf, aus der Mo seine Erzählungen entwickelt. Obwohl seine bisherigen Werke alle um das Thema Flucht kreisen, geht es niemals um die direkten Umstände einer Flucht. Leid und Entbehrung einer solchen und die konkreten Gründe eines Aufbruchs werden nicht ausgebreitet. Mo rückt in kammerspielartiger Manier vor allem die zwischenmenschlichen Probleme von Menschen in der Fremde in den Fokus, die trotz kultureller Unterschiede überall auf der Welt ähnlich sind. Deshalb ist der erwähnte 28-Minüter auch kein Flüchtlingsdrama, sondern vielmehr ein Beziehungsdrama, das sich zwischen den ProtagonistInnen mit Migrationshintergrund während einer Autofahrt abspielt. Ob Syrer, Somalier oder Österreicher – eine Trennung ist immer schwierig und hinterlässt Narben auf der Seele, ganz egal, in welchem Land diese Beziehung zerbricht.

Das Drehbuch zu Die Geschichte vom Eisbär, der nach Afrika wollte schrieb Mo 2015, als die Flüchtlingswelle einen Höhepunkt erreicht hatte. „Es war eine Zeit, in der das Thema Flucht sehr präsent war. Wenn man das Wort so oft hört und liest, dann vergisst man, was es eigentlich bedeutet. Man vergisst, dass das auch Menschen sind, die da ankommen“, sagt der Regisseur. „Ich wollte einen Film machen, in dem die Fluchterfahrung zwar im Hintergrund steht, im Vordergrund aber eine Geschichte erzählt wird, mit der sich jeder Mensch identifizieren kann. Zwei Personen, die zwar auf der Flucht sind, aber über ihre Beziehung sprechen. Eigentlich ist es nur ein Paar, das sich ganz normal streitet, wie alle anderen.“ Mo ist es in seinen Filmen vor allem wichtig zu zeigen, dass Geflüchtete ganz normale Menschen sind, die einen Alltag und Beziehungsprobleme haben, Blödsinn reden und sich nur plötzlich in einer anderen Situation befinden. Die Flucht sei nur ein Teil ihres Lebens, sagt Mo, sie alle hätten auch eine Vorgeschichte.

Überhaupt entstehen ja an dieser Stelle erst die wirklich interessanten Fragen: Wie wirken sich solche Erfahrungen auf verschiedenste Beziehungen aus? Was kann ein Land tun, um diese Lebensläufe zu integrieren? Und inwiefern kann eine filmische Darstellung helfen, solche Themen wie Fluchterfahrung und Schwierigkeiten eines Neuanfangs im fremden Land sichtbar zu machen und auf gesellschaftliche und politische Missstände hinzuweisen? Nach Meinung des Filmemachers wird das Thema Flucht im Film und in den Medien zu eindimensional dargestellt. Meist würde lediglich erzählt, warum die Menschen flüchteten, so Mo. Geflüchtete würden meist nur als Opfer und nicht auf Augenhöhe gesehen.

Mo weiß, wovon er spricht. Mit einer großen Klarheit formuliert er seine Gedanken – zurückhaltend, aber wohlüberlegt. Viel gibt er nicht Preis über die eigene Flucht, über diese spricht er nicht so gern. Aber vielleicht ist das ja nicht das Wichtigste, seine Filme vermitteln eine Idee davon, wie sich eine solche Erfahrung anfühlen muss. Mo entschied selbst, Somalia zu verlassen und machte sich allein auf den Weg. Dass er in Österreich landete, wo er nun bereits seit zehn Jahren lebt, sei Zufall gewesen. „Man hat keine Wahl und Menschen sind Gewohnheitsstiere“, sagt der Filmemacher, dem es in Wien gut gefällt und der hier auf jeden Fall erst einmal bleiben möchte. „Aber man weiß ja nie.“

Immer schon war es Mos Traum, Geschichten zu erzählen. „Und wenn ich die Erzählung im Kopf habe, dann habe ich auch die Bilder im Kopf“, sagt der 28-Jährige. In Somalia wuchs er „ganz normal“ auf, wie er sagt: „Ich hatte fast denselben Alltag wie ein Kind in Österreich: aufstehen, frühstücken, in die Schule gehen, Freunde treffen, draußen spielen – allerdings in einem Land, in dem es keine funktionierende Regierung beziehungsweise gar keine Regierung gibt.“ Somalia besitze eine große Lyrik- und Musiktradition, die ihn stark geprägt habe, erzählt er. In Mogadischu besuchte er eine Schule, in der Fächer wie Theater und Gedichteschreiben genauso wichtig waren wie alle anderen. Dort unternahm er seine ersten Schreibversuche. Dass er Filmemacher werden wollte, entwickelte sich erst später, als er in Graz bei einer dreiwöchigen Sommerakademie mit einer Gruppe professioneller Filmleute und Laien erste filmische Versuche drehte. „Ich habe gemerkt, dass es zwar noch an der Umsetzung fehlt, ich aber schreiben kann“, so Mo. Dazu kam die Erkenntnis, dass ihn seine Erfahrung in seiner künstlerischen Entwicklung weiterbringen könnte: „In Österreich hatte ich auf einmal was zu sagen. Ich wollte das, was ich denke und was mich beschäftigte, in irgendeiner Form sagen. Das war fast wie eine Therapie. Manchmal kann ich Dinge nicht gut ausdrücken, weil ich sehr emotional bin. Beim Schreiben weiß ich genau, warum und wie ich etwas erzähle und wohin ich will.“

Mo mit Moderator Robert Buchschwenter bei der szenischen Lesung von Diverse Geschichten 2016 (Foto: Julia Schafferhofer).

Im Rahmen des Kinokabaret in Graz, eines weiteren Filmworkshops, bei dem Leute aus unterschiedlichen Ländern mit und ohne Filmerfahrung zusammenkamen, drehte Mo innerhalb von drei Stunden seinen ersten Kurzfilm The Wall (AT 2014, 10 min). Ohne Dialog erzählt der 10-Minüter von einem geflüchteten Vater, der seine Familie nach Österreich holen möchte. Der Film lief 2014 beim this human world Filmfestival in Wien, wo der Drehbuchautor, Filmproduzent und Dramaturg Senad Halilbašić auf Mo aufmerksam wurde und ihn einlud, eine Projektidee beim Drehbuchprogramm Diverse Geschichten einzureichen. Mo wurde genommen und entwickelte dort Nach Mogadischu, sein anfangs erwähntes erstes Drehbuch für einen Langspielfilm. Leider wurde der Film nicht realisiert, die Produktion sei zu teuer, hieß es. Auch weitere Drehbücher, wie z.B. eine Geschichte über einen jungen Österreicher, der das Kind seiner Nachbarn entführt und eine besondere Freundschaft zu diesem aufbaut, konnten bisher nicht umgesetzt werden.

Mo musste ein Reihe Rückschläge einstecken: Zu den nicht realisierten Drehbüchern und der fehlenden Finanzierungsmöglichkeit kam eine Absage von der Filmakademie Wien, bei der er sich beworben hatte. Trotzdem, und vielleicht erst recht, ging und geht Mo weiterhin seinen eigenen Weg. Im Sommer 2018 drehte er mit seinem guten Freund, dem Produzenten Alexander von Piechowski, den Kurzfilm mit dem Titel 1947 (AT 2020, 22 min), der jetzt für Festivals eingereicht wird. „Ich war etwas frustriert darüber, dass ich mit meinen Geschichten, die anders sind und die von Ausländern und Flüchtlingen handeln, nicht weiterkomme. Ich dachte, dass ich vielleicht eine heimische österreichische Geschichte erzählen sollte, mit der sich jeder identifizieren kann“, so der Regisseur und Drehbuchautor.

William Ndombasi in 1947 (AT 2020, 22 min).

In dem Film geht es um eine österreichische Nazifamilie, deren Ausreiseantrag nach Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg abgelehnt wird. Der Film – ohne großes Budget in Lunz am See gedreht – eröffnet eine ungewöhnliche, interessante Sichtweise auf Täterschaft und Umgang mit Schuld in der Zeit des Nationalsozialismus und danach. Im Mittelpunkt des Films stehen Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten wollen – mit dem Unterschied, dass diese durch ihre Ausreise einer drohenden Strafe für schreckliche Naziverbrechen entkommen wollen. Mo konnte für 1947 den Schauspieler Alexander Fennon und den Grazer Dokumentarfilmer Heinz Trenczak als Protagonisten gewinnen. Der 28-jährige Filmemacher wählte die historische Perspektive aus gutem Grund: „Ich habe das Gefühl, dass in den letzten drei, vier Jahren der Rechtsruck in Europa enorm zu spüren ist. Man vergisst schnell, aber ich kann eine Parallele zur Zeit des Zweiten Weltkriegs erkennen. Ich sehe einfach, wie leicht es geworden ist, Menschen durch Propaganda und Populismus zu manipulieren.“

Stills aus 1947 (AT 2020, 22 min).

Auch wenn das Filmbusiness hart ist und es nicht einfach ist, in das österreichische Fördersystem zu kommen, lässt Mo sich nicht entmutigen. „Ich mache weiter, weil ich denke, ich habe was zu erzählen“, sagt er. Besonders mag er Filme, die ohne großes Budget und Produktionsfirma im Rücken entstanden sind, so wie z.B. Bulbul Can Sing (IN 2018) von Rima Das. Mo bewundert die indische Regisseurin, die bei ihren Filmen fast alles selbst macht, vor allem für ihre Haltung. „Das motiviert mich für meine eigenen Geschichten, die anders sind, und nimmt auch den Druck, einen Film zu machen, der wie ein Haneke aussieht“, so der Filmemacher, den stets eine große Ehrfurcht und Unsicherheit angesichts guter und technisch perfekter Filme von intellektuellen, europäischen Regisseuren überkommt.

Im Rahmen des BKA-Startstipendiums entwickelt Mo derzeit das Drehbuch zu einem Spielfilm mit dem Arbeitstitel A Village next to Paradise. Diesmal spielt die Geschichte in Somalia und kreist um das Leben einer Familie in einem kleinen Dorf. „Es geht um alles, an was man nicht denkt, wenn man an Somalia denkt“, so Mo. „Es gab für lange Zeit keine funktionierende Regierung und es herrschten immer wieder bürgerkriegsähnliche Zustände. Aber der Alltag ist ganz normal, das kann man von außen nicht verstehen. Und diesen Alltag möchte ich erzählen. Damit man nicht nur das mitbekommt, was über die Medien nach Österreich durchdringt.“ Mo will in diesem neuen Projekt die ihm vertraute somalische Welt beschreiben, die teilweise aus Erinnerungen, Träumen und Projektionen besteht. Gerne würde er den Film auch dort drehen.

Dass er sich jetzt mit seinem Heimatland beschäftigt, hat einen Grund: „Eine Zeit lang hatte ich diese Hoffnung, dass ich in die österreichische Filmbranche und das System reinkomme. Jetzt habe ich gemerkt: Das bin ich doch gar nicht. Vielleicht muss ich mich mehr darauf besinnen, was ich als Filmemacher erzählen will. Mit meinen Erfahrungen. Ich habe lange versucht, es so zu machen wie alle anderen. Darin kann man sich leicht verlieren. Ich will aber mein eigenes Ding machen. Ich schreibe einen Film über Somalia, das kann ich erst jetzt. Auch emotional.“

Mit der Heimat ist das so eine Sache. Was das genau sei, könne er nicht genau erklären, nur spüren, sagt Mo. Allerdings ist er sich sicher, dass das Gefühl für den Ort, an dem man aufgewachsen ist, einem auch woanders begegnen könne. Kann sein, dass der 28-Jährige dieses Gefühl immer öfter auch hier spürt. Vielleicht ist das Kapitel „Fluchtgeschichten“ nun erst einmal abgeschlossen.

von Anna Steinbauer, im November 2019
Porträtbild oben von Elodie Grethen für Cinema Next