Simon Spitzer| BMKÖS Startstipendiat 2020
Porträts

Simon Spitzer| BMKÖS Startstipendiat 2020

Januar 2021

„Wenn man Tristesse auf ein Podest stellt, wird daraus Poesie “

 

Simon Spitzer, 1988 geboren und in Wien aufgewachsen, bestand er – “nach dem Besuch einer Waldorfschule und einer kurzen Phase auf dem Baseballfeld“ – 2008 die Aufnahmeprüfung für Regie an der Filmakademie Wien. Während des Studiums begann er, in verschiedenen Bereichen für Kinofilm und Werbung zu arbeiten, u.a. als Caster, Sounddesigner und Regieassistent. Er macht Musik (auch für Filme), zeichnet und realisiert als Autor und Regisseur dokumentarische wie fiktionale Kurzfilme. Für das Startstipendium 2020 hat er sich mit dem Spielfilmprojekt What They Feel beworben. Wir haben Simon ein paar Fragen zu seinem neuen Projekt und seiner Arbeitsweise gestellt.

 

Du hast dich 2008 für ein Regiestudium an der Filmakademie Wien entschieden. Du machst aber auch Musik und zeichnest/illustrierst. Wie bist du zum Film gekommen, und warum bist du v.a. beim Film geblieben?

Ich möchte eigentlich schon seit meiner Kindheit Filme machen, damals inspiriert durch die ganzen Superhelden- und Horrorfilme im Fernsehen. Später habe ich dann die Filme abseits vom Mainstream entdeckt, die anders funktionieren und unterschiedliche Blicke auf die Welt werfen. Das hat mich so fasziniert, dass ich gleich nach der Schule auf die Filmakademie wollte. Das Musikmachen hat mich aber immer schon nebenher begleitet. Die Musik ist sowas wie ein sicherer Rahmen, in dem ich mich frei bewegen kann. Ich bin neben dem Filmemachen also auch bei der Musik geblieben. Beim Film kann ich mich durch den enormen Aufwand nur selten so fallen lassen wie bei der Musik. Aber natürlich gibt es dort auch diese freien Momente, wenn die vorangegangenen Ideen vor einem plötzlich sichtbar und plastisch werden. Das ist schon ein unglaublicher Prozess.

Worum geht es in deinem Spielfilmprojekt What They Feel, mit dem du dich für das Startstipendium beworben hast?

Es geht um die ambivalente Mutter-Sohn-Beziehung von Elena (45) und Ben (11). Elena liebt ihren Sohn über alles, begeht in ihrem Umgang mit ihm aber ständig Grenzüberschreitungen, an die er gewöhnt ist, die ihm aber eigentlich nicht gut tun. Die Geschichte ist aber überhaupt nicht moralisch angelegt. Es geht um die Liebe und Gemütslage der beiden. Der Film fängt kurz nach der Trennung vom Vater an und erzählt, wie Elena und Ben auf eine Hochzeit am Land fahren. Als Bens Vater ihnen dorthin folgen will, flieht Elena mit ihrem Sohn und fährt mit ihm durch die weite Landschaft. Ein Roadtrip ohne Ziel. Die Figuren sind durch die Trennung der Eltern in einer Ausnahmesituation. Es gibt Szenen, die emotional und physisch sind. Die Figuren beschimpfen sich recht viel, weil sie sich so nahe stehen. Mir ist wichtig, dass der Film unaufgeregt und unsentimental erzählt. Das Erzähltempo soll langsam sein. So stelle ich mir den Film zumindest vor.

Eine Episode einer Eltern-Kind-Beziehung zeigst du uns ja auch schon im Kurzspielfilm Holz einräumen (2014, 17 min). Auch in What They Feel geht es um diese Thematik. Was beschäftigt und interessiert dich daran?

Mich beschäftigt die Beziehung zu den Eltern, weil man voneinander viele oder beinahe alle Seiten kennt und trotzdem sehr unterschiedliche Lebenswelten aufeinanderprallen können. Alles ist durchzogen mit Emotionen, alles ist persönlich. Eltern-Kind-Thematiken sind immer existenziell. Ich glaube, aus dem Familien-Thema an sich kann man endlos viel schöpfen. Neben dem emotionalen Aspekt finde ich auch interessant, dass die Familie einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat. Für Eltern gibt es bestimmte Rollenbilder, die erfüllt werden müssen. Darum möchte ich bei What They Feel auch eine Mutter zeigen, die dieses Rollenbild nicht erfüllen kann. Mir geht es oft um eine Atmosphäre. Etwas Hintergründiges, während eine Szene vordergründig vielleicht was anderes erzählt. Bei Holz einräumen sieht man Vater und Sohn. Dadurch, dass sie nichts direkt aussprechen, implodieren die Gefühle ins Innere des Films. Beim Drehen habe ich immer gesagt, ich möchte etwas Unsichtbares filmen.

Still aus dem Kurzdokumentarfilm Die Leute von Stiege 5 (2012, 22 min).

Still aus dem Kurzspielfilm Holz einräumen (2014, 17 min).

Schon in deiner dokumentarischen Miniatur Die Leute von Stiege 5 (2012, 22 min) hast du Bewohner*innen der Gemeindebaustiege, in der du aufgewachsen bist, gefilmt. Der Stoff zu What They Feel basiert ebenso auf persönlichen Erfahrungen, die du bei der Trennung deiner Eltern gemacht hast. Aus welcher Perspektive willst du diese Eltern-Kind-Beziehung erzählen, und wie nahe oder distanziert soll der Film an/von deinem Leben sein?

Die Perspektive, aus der der Film erzählt werden soll, liegt von der Gewichtung her auf beiden Figuren. Ich möchte gerne einen Einblick in ihre beiden Lebenswelten zeigen, weil sich dadurch besser ein Gesamtbild der Familie beschreiben lässt, mit all ihren Eigenheiten und Hintergründen. Das kann sich aber auch noch ändern, ich bin ja noch mitten im Schreibprozess.

Natürlich nehme ich den Anstoß für Stoffe immer aus meinem Leben. Beim Schreiben distanziere ich mich aber von meiner Biografie und verändere Menschen und Situationen völlig. Dann kann mich die Geschichte wieder überraschen und es gibt Momente, in denen das Schreiben passiert, ohne dass ich alles vorausplane. Das macht mir dann am meisten Spaß. Rein biografisch zu arbeiten interessiert mich weniger. Ich möchte lieber Erfundenes und Erlebtes miteinander verschmelzen. Aus Gefühlen und realen Situationen, die ich erlebt habe, etwas zu ‘gestalten’, ist immer ein großer Befreiungsschlag.

Wenn man das Treatment zu What They Feel liest, könnte man meinen, du erzählst ein Sozial-/Familiendrama mit dem Touch an Tristesse, wie sie in vielen österreichischen Filmen vorkommt. Aber bei dir kommt der Blick ins Familienleben mit einem gewissen Charme daher. Welche Rolle spielt Humor/Witz für deine Filme?

Manchmal mag ich Tristesse! Wenn man Tristesse auf ein Podest stellt, wird daraus Poesie. Aber Humor spielt eine wichtige Rolle für mich. Ich mag es, wenn Szenen nicht eindeutig tragisch oder lustig sind. Wenn Figuren auch eigenartige Facetten haben, die einen zum Lachen bringen. Bei meinem Kurzfilm Holz einräumen war das eine ziemliche Gratwanderung. In einer Kinovorstellung hat das Publikum hysterisch gelacht und der Film wurde als Komödie besprochen. In einer anderen Vorstellung wurde gestöhnt und man hat mich gefragt, warum ich alles so trist zeige. Ich wollte, dass der Film wie ein Spiegel funktioniert, und habe schon gehofft, dass die Leute auch lachen werden.

Wenn mich eine Szene berührt, ich aber gleichzeitig über etwas lachen muss, kann das sehr befreiend sein. Mir fällt es manchmal schwer, wenn dramatische Themen auch noch dramatisch erzählt werden. Dem versuche ich bei der eigenen Projektentwicklung entgegenzuwirken, ich suche da vielleicht eher nach Gegensätzen.

In deiner Bewerbung für das Startstipendium schreibst du, es interessiert dich vor allem der Alltag und der Dialog deiner Figuren und das, „was abseits der Wendepunkte“ geschieht. Was meinst du damit?

Wendepunkte sind für meinen Film wichtig. Ich versuche aber beim Schreiben, auch auf die ruhigeren Situationen zu schauen, in denen auf den ersten Blick nicht viel passiert. Ich suche dann nach Details, die vielleicht etwas über die Figuren aussagen. Auch wenn die Handlung gerade nicht vorangetrieben wird, kann sich in mir beim Zuschauen etwas bewegen und manifestieren. Bei meiner Bewerbung habe ich das hervorgehoben, weil ich Angst hatte, der Stoff könnte dramatischer wirken, als ich ihn eigentlich angehen möchte.

Ich stelle mir oft vor, dass Filme ohne Wendepunkte auch schön sein können. Dieser Gedanke ist nur etwas theoretisch. Film funktioniert ja oft nach eigenen Gesetzen. Wenn in der Dramaturgie etwas totläuft, kann es auch schade sein. Aber es kann auch passieren, dass gerade dadurch ein anderer Blick ermöglicht wird. Sperrige Filme stören mich überhaupt nicht. Es ist ohnehin alles so produktorientiert geworden, da finde ich es gut, zumindest über eigenwillige Formen nachzudenken.

Ebenso schreibst du, dass die Umsetzung und Form realitätsnah und in Ansätzen dokumentarisch sein soll und du mit Laiendarsteller*innen arbeiten möchtest (wie du es ja auch schon in Holz einräumen gemacht hast). Hast du Vorbilder, die dich in dieser Hinsicht inspirieren?

Ich habe noch keine fixe Arbeitsweise. Aber ich mag eigentlich alles von Bruno Dumont. Mir gefällt, wie er mit Gesichtern, der Körpersprache und Landschaften arbeitet. Alles fühlt sich roh an. Übrigens auch immer mit einer wunderschönen Tristesse! Ich war immer sehr inspiriert vom französischen Film. Was das Dokumentarische im Fiktionalen betrifft, gefällt mir Miguel Gomes wahnsinnig gut. Auch weil dort die Grenzen zum Essayfilm verschwimmen und er das Publikum mit unglaublich langen und langsamen Filmen konfrontiert.

Filmemachen ist, glaube ich, auch die Suche nach der eigenen Wahrheit, die sich aus dem eigenen Zugang ergibt, weniger daraus, ob man dann dokumentarisch dreht oder mit Laien arbeitet. Wenn man einen Film macht, glaubt man an etwas, und daraus ergibt sich dann hoffentlich eine Wahrhaftigkeit. Ich liebe aber auch Filmemacher*innen, die nicht mit Laien arbeiten, wie Jonathan Glazer, Claire Denis, Sofia Coppola, Giorgos Lanthimos u.a..

Simons Handyhülle. Zum Abspielen des Werner Herzog Songs auf das Bild klicken!

Als NOMIS veröffentlichst du auf Soundcloud auch instrumentale Elektro-Popsongs. Einer deiner Tracks heißt Werner Herzog Song. Ist das nur Schmäh oder auch Hommage?

Dem Lied liegt eine Bewunderung für die Interviews von Werner Herzog zugrunde. Ich denke, im Internet habe ich alle Interviews gesehen, die es von ihm gibt. Sie sind mindestens genauso gut wie seine Filme. In dem besagten Lied kommt ein Voice-over aus einem dieser Interviews vor, in dem er davon erzählt, dass der Dschungel ein verfluchter Ort ist, vor dem die Menschheit klein und lächerlich wirkt. „Taking a close look at what’s around us, there is some sort of a harmony, it is the harmony of overwhelming and collective murder. We in comparison to that enormous articulation, we only sound and look like badly pronounced and half-finished sentences out of a stupid suburban novel, a cheap novel …“ Typisch Herzog eben. Eine Empfehlung! 

In welchem Stadium befindet sich das Projekt What They Feel derzeit und was glaubst du, wird in den nächsten Schritten die größte Herausforderung?

Während des Startstipendiums habe ich ein Treatment geschrieben und jetzt würde ich gerne ein Drehbuch daraus erarbeiten. Das ist einstweilen Herausforderung genug.

Du hast zu unserem Fotoshooting als Objekt ein Kassettentape mitgenommen. Warum?

Weil uns gesagt wurde, wir sollen ein Objekt mitbringen, dass wir mit unserem Filmschaffen verbinden, habe ich mich für eine Videokassette mit Aufzeichnungen, die ich als Kind gemacht habe, entschieden. Ein bisschen romantisierend vielleicht – aber ein wichtiges Detail dazu: Diese Kassette ist nicht mehr abspielbar. Sie war so schlecht gelagert, dass nichts mehr auf dem Band ist. Ich kann nur versuchen mich zu erinnern, was da wohl drauf war. Früher habe ich mit meinem jüngeren Bruder viele Videos gemacht. Als er sechs Jahre alt war, haben wir zum Beispiel Frankensteins Monster verfilmt und auch die Operation nachgestellt, wo das Hirn in die Leiche des Monsters eingesetzt wird. Mein Bruder hatte danach leider Albträume. So fies sind ältere Geschwister!

Porträt- und Objektfoto © Cinema Next / Olena Newkryta

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