„Der kurze Film zählt meistens nicht“
Sichtweisen

„Der kurze Film zählt meistens nicht“

Sebastian Schreiner, April 2023

Der folgende Text war Sebastians Input beim Cinema Next Breakfast Club auf der Diagonale’23 zum Thema „(Alb-)Traum Debütfilm“.

Auf der Editor*innen-Verbandsseite steht über Sebastian: „Nach einer gescheiterten Karriere als angehender Profi-Golfer kam ich über die Arbeit als Visual Artist bei elektronischen Musikprojekten zum Film.“ Sebastian studierte Schnitt bzw. Montage an der Filmakademie Wien. Er hat schon viele Kurz- und Langfilme geschnitten. Auf der Diagonale’23 liefen der von ihm montierte Langspielfilm Family Dinner und der Kurzspielfilm Land der Berge.

Der folgende Text ist einer von zwei Beiträgen zum Thema “(Alb-)Traum Debütfilm”.

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Mein Name ist Sebastian Schreiner, ich habe an der Filmakademie Schnitt studiert, bin Mitglied im Vorstand vom Österreichischen Schnittverband (AEA) und im Dachverband der Filmschaffenden. Ich habe mehrere Langfilm-Debüts geschnitten: Dokumentarfilme (Vakuum von Kristina Schranz oder Sargis von Stefan Langthaler), Spielfilme (Family Dinner von Peter Hengl), Hybride (also etwas zwischen den Formen) (Krai von Aleksey Lapin), aber auch Fernsehserien oder Fernsehfilm-Debüts (Prost Mortem von Michael Podogil).

Ich habe lange überlegt, was das Besondere am Schnitt von Erstlingen ist, und dann festgestellt, dass es gar nicht so anders ist im Vergleich zu Kurzfilmen; also der eigentliche Schnittvorgang ändert sich wenig. Gerade bei Leuten, mit denen man schon gemeinsam an mehreren Kurzfilmen gearbeitet hat, finde ich es daher schwierig, hier von „Debüts“ zu sprechen.

  • Kurzfilme sind leider zu wenig relevant

Generell wird in der Branche die Vorleistung, kurze Filme mit wenig bis keinem Geld umgesetzt zu haben und damit noch international konkurrieren zu können, viel zu wenig Beachtung geschenkt. Der kurze Film zählt meistens nicht.

Klar, Langfilme haben eine andere dramaturgische Struktur als Kurzfilme und man hat gerade im Schnitt meistens noch mehr Möglichkeiten, Szenen einzukürzen, umzustellen, rauszuschmeißen. Aber im Grunde, glaube ich, hat jede*r, die*der mehrere Kurzfilme geschnitten hat, meiner Meinung nach das Rüstzeug, einen Langfilm zu schneiden.

  • Die Vertrauensfrage

Aber trotzdem bedeutet „Erstlinge schneiden“ viel Vertrauen von allen Seiten, auch weil man Head of eines kleinen, sehr eigenverantwortlichen Departments ist, das weit weg vom Set alleine vor sich hinarbeitet.

Und hier braucht man viel Unterstützung, auch von der Regie! Gerade wir Editor*innen laufen nämlich große Gefahr, ausgetauscht zu werden – vor allem bei Debüts, weil wir nicht direkt am Set arbeiten, wo man so schnell auf niemanden verzichten kann, und weil wir ein kleines Department sind.

Als Beispiel diene hier der Fall eines Kollegen, der bei dem gemeinsamen Debüt mit seiner Regie nach der schnittbegleitenden Zeit gehen musste, noch bevor die reguläre Schnittzeit angefangen hatte. Begründung gab es keine. Sowas hinterlässt Kratzer in Karrieren.

Ich kann nur über die Beweggründe mutmaßen. Geht es um Machterhalt? Um Kontrolle? Ich weiß es nicht, vielleicht wollte man einfach mit jemand Etablierteren arbeiten.

Aber hier kann einem nur die Rückendeckung der Regie helfen.

Aber genau in dasselbe Horn stößt diese komische Entscheidung, wen man mitnehmen kann in sein Debüt. Oft gibt man der Regie dann die Wahl zwischen Kamera oder Schnitt – weil beides ist den Produktionen oft zu heikel. Auch das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Wenn die Teams schon mehrere Kurzfilme gemeinsam gemacht haben, ist es Blödsinn, sie bei ihrem Debüt auseinanderzureißen.

Hier sehe ich definitiv den Vorteil von jungen Produktionsfirmen, weil, wenn alle – inklusive der Produktion – frisch sind, dann fällt man hoffentlich nicht in solche Muster, dann sollten sich solche Probleme gar nicht einstellen.

  • Der Druck, weniger Zeit

Wo sich der Langfilm definitiv vom Kurzfilm unterscheidet, ist der Druck: Wo man im universitären Rahmen über Monate an etwas herumschneiden konnte, ist das im „professionellen“ Arbeiten nicht mehr möglich. Es gibt relativ strenge Deadlines, die es einzuhalten gilt, und das war für mich persönlich auch die größte Umstellung: weniger ausprobieren zu können; dass alles schon relativ in Form sein muss, vor allem wenn man im Fiction-Bereich für das Fernsehen arbeitet. Es ist auch stressiger, weil probiert wird, die eigene Unerfahrenheit auszunutzen. Bei Verhandlungen über die Schnittzeit kriegt man beispielsweise prinzipiell mal eine Woche weniger, als es Usus ist.

Diese Dinge kann man am Anfang einfach nicht wissen, weil man denkt: Es gibt da doch Standards, an die sich alle halten.

Ein Beispiel: Die Schnittzeit bei einem durchschnittlichen Fernsehfilm ist acht bis zehn Wochen. Mir werden prinzipiell immer sieben angeboten. Hätte ich das vorher nicht gewusst, hätte ich mich fix auf solche Deals eingelassen und wäre danach frustriert gewesen, es nicht in der Zeit zu schaffen, oder, wenn ich es in der Zeit doch geschafft hätte, wäre ich danach komplett erledigt gewesen.

Auch die Möglichkeit für Testscreenings und dergleichen sollte man in die Länge der Schnittzeit unbedingt mit einbeziehen, das wird sehr oft vergessen.

  • Sprecht mit Kollegen*innen

Ich habe mir angewöhnt, mit erfahrenen Kollegen*innen meine Projekte durchzusprechen, bevor ich sie zusage. Um sicher zu sein, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Ich bitte immer um Bedenkzeit und dann telefoniere ich rum und erkundige mich. Das ist das Angenehme daran, dass wir so klein als Branche sind. Jede*r kennt jede*n, und Informationen zu kriegen ist relativ einfach.

Generell will ich nochmal zusammenfassen:

  • Gute Kurzfilme geschnitten zu haben sollte eine Visitenkarte für Langfilme sein. Das sollte übrigens für alle Departments gelten.
  • Ein inniges Vertrauensverhältnis mit der Regie ist immens wichtig. Niemand will die Regie verärgern, und das kann man sich durchaus zum Vorteil machen: Bei Problemen mit der Produktion hole ich mir immer sofort die Regie ins Boot, und das würde ich hier jedem empfehlen.
  • Den Druck nicht unterschätzen und schauen, dass man sich realistische Schnittzeiten ausverhandelt (Family Dinner hatte bspw. 14 Wochen, angeboten wurden mir zu Beginn 10). Ansonsten kriegt man dann den ganzen Druck ab und muss dafür geradestehen. Also lieber gleich längere Zeit erbitten, wenn man sich unsicher ist. (Kleiner Tipp: Ich bringe oft ein, dass die Regie sich wünscht zu experimentieren und dass man dafür eine Woche extra braucht; das funktioniert meistens.) Und man darf nicht vergessen, wie günstig eine Woche Schnitt im Verhältnis zu einem Drehtag ist.
  • Miteinander reden: Wir können voneinander lernen. Deswegen sollten wir alle immer offen miteinander reden. Gerade erfahrenere Kollegen*innen sind dazu sicherlich immer bereit. Wir müssen nicht alle immer wieder dieselben Fehler machen.

Danke für die Aufmerksamkeit.

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Foto © Diagonale / Miriam Raneburger