Auf der Suche nach der Chance
Sichtweisen

Auf der Suche nach der Chance

Jasmin Baumgartner, September 2022

Jasmin Baumgartner, Jahrgang 1990, studierte Buch und Regie an der Filmakademie Wien, realisiert Filme fürs Kino (bspw. Kurzspielfilm Unmensch und Langdokumentarfilm Robin’s Hood), dreht Musikvideos (bspw. für Wanda) und kommerzielle Produktionen und arbeitet auch fürs Fernsehen: aktuell an dokumentarischen Formaten und mit einer deutschen Redakteurin an einer Mini-TV-Serie.

Der folgende Text ist einer von zwei Beiträgen zum Thema Arbeiten fürs Fernsehen

>>

Das Wort Fernsehen klingt sympathisch retro. Ich hab vier verschiedene On-Demands abonniert. Vorm Fernseher einschlafen ist eine Kindheitserinnerung, die ich nicht missen will, aber einen zu besitzen, wäre halt der fünfte Screen in meiner Wohnung. Ich vermiss die Zeit, wo das Fernsehprogramm sich überlegt hat, was ich schaue, und nicht der Netflix-Algorithmus. Per Glücksprinzip Fernseher einschalten und eine ungesehene Perle entdecken wäre der perfekte Abend, aber egal wo ich nachts hinzappe, läuft Medical Detectives in Variationen. Danke ORF, dass du seit über 20 Jahren ohne Unterbrechung Malcolm in the Middle spielst, aber ich glaube, wir haben es mittlerweile alle gesehen.

Während meines Filmakademie-Studiums hab ich am Küniglberg als Inspizientin fürs Nachmittagsfernsehen und die Zeit im Bild gearbeitet. Jahrelang bin ich also durch die Gänge gelaufen und hab mich gefragt, hinter welcher Tür eigentlich entschieden wird, welche Stoffe eine Chance bekommen, und wer die Menschen sind, die das entscheiden.

Damals war der Küniglberg mein Labyrinth, das ich erforscht hab, und die Strukturen des Fernsehsenders ein Rätsel, das lösbar schien. Paar Jahre später hab ich begonnen, Kurzfilme zu drehen und für meine Arbeit beim Film mein erstes Geld zu verdienen. Meine moody Küniglberg-Nachmittage wurden weniger. Auf einer Weihnachtsfeier hab ich dann eine Redakteurin kennengelernt und sie genervt, was man eigentlich machen muss, um beim ORF als Regisseurin zu arbeiten. Sie hatte keine Antwort, aber wollte mir helfen, weil sie meinen Kurzfilm mochte. Der Plan war, wir setzen uns so lang in die Kantine, bis jemand vorbeigeht, den man um einen Job anhauen kann. Fair enough!

Ich wusste von anderen, dass niemand beim ORF wahnsinnig schnell auf E-Mails von unerfahrenen Jungregisseurinnen antwortet, also hielt ich die direkte Attacke in der Kantine natürlich für die beste und effizienteste Lösung, um einen Auftrag zu bekommen. Dann haben wir Kaffee in der alten 70er-Jahre-Kantine getrunken, bis der damalige Sendungsverantwortliche für die Kulturabteilung vorbeiging und ich meinen Termin bekommen hab. Ganz so einfach war’s nicht, aber ich war hartnäckig und er war im Stress. Ich bekam also eine Chance.

Am liebsten wollte ich etwas für kreuz und quer oder Weltjournal machen, weil ich wusste, dass da internationale Eigenproduktionen gedreht wurden. Zu meinem Termin konnte ich nicht viel mitbringen, weil ich ja noch nie etwas fürs Fernsehen gedreht hatte. Ich hab dem Sendungsverantwortlichen einen Ausschnitt meines aktuellsten Kurzfilms gezeigt, in dem ein junger Schauspieler einem Obdachlosen zynisch die Frage stellt „Wo ist in diesem Raum ein Platz für Gott?“ Das war meine Bewerbung fürs Religionsmagazin. Man muss dazusagen, dass meiner Meinung nach die rebellischen, innovativsten Ansätze im österreichischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen sowieso aus der Religionsabteilung kommen. 

Der nächste Schritt war, mir ein Thema zu überlegen. Ich hatte endlos viele Ideen von Exorzismus bis Raelismus. Wir haben uns schlussendlich darauf geeinigt, dass ich ein Generationsporträt über Millennials drehe. Damals war mir noch gar nicht klar, wie außergewöhnlich diese inhaltlich freie Gestaltung beim Fernsehen war. 

Mein Bild vom ORF war ein Potpourri aus Erzählungen der Eltern meiner Freunde, die dort Karrieren machten, die heute nicht mehr möglich wären. Da gab’s Anarcho-Formate wie Ohne Maulkorb und alles wurde neu erfunden. Vielleicht war die Zeit so gut, dass danach einfach beschlossen wurde, nie wieder etwas zu verändern. Im Gegensatz zum Wandel der Welt.

Teheran, Sarajevo, Berlin. Sicher. Es war eigentlich alles möglich für den Millennials-Film. Wir sind zu dritt losgezogen und haben mit Menschen in diesen Städten gesprochen um aufzuweisen, wie sich Gesellschaft, Staat und Zugang zu Popkultur auf die Generation auswirken. Aufgrund des Materials aus Teheran durfte er rechtlich nicht in die Mediathek. Das war alles ziemlich aufregend.

Zwei Jahre später habe ich wieder fürs selbe Format einen Film im Mukuru Slum in Nairobi zum Thema Talente-Gleichnis gedreht. An Fernsehen ist unvergleichbar, wie viele Menschen tatsächlich zusehen. Im Kino oder auf Festivals wird man klarerweise niemals so viele Menschen erreichen. Immer wenn mir jemand die Einschaltquoten verraten hat, war ich schockiert.

Oft fühlen sich Filme so an, als würden sie von Filmschaffenden für die Augen anderer Filmschaffenden gemacht werden, um in einem sehr elitären Festivalrahmen branchenintern diskutiert zu werden. Fernsehen ist mega relevant durch das breite unberechenbare Publikum. Mir haben nach meinen Ausstrahlungen immer Menschen geschrieben, die in Tausend Jahren nicht zu meinen Screenings ins Kino gegangen wären. 

Ähnlich erfüllt hat mich auch der journalistische Aspekt an TV-Dokus. „Bildungsauftrag“ klingt per se nicht supersexy, aber ich war immer eine große Bewunderin von Hugo Portisch’s Zugang: „check, recheck, double check!“ Wahrheitsanspruch ist ein Grundbedürfnis. 

Schlussendlich hab ich dann einen Drehbuchauftrag für ein großes Doku-Format bekommen, um mich mit einer historischen Biografie auseinanderzusetzen. Die Challenge war, dass es kaum historische Aufzeichnungen gab und die jeweiligen Historikerinnen selbst unterschiedliche Interpretationen hatten. Diese Eigenverantwortung, für welche Wahrheit man sich entscheidet, führte zu keiner Einigung zwischen mir und der Redakteurin. Klar erzähl ich eine starke Frauenfigur und keine schwache, wenn dieser Interpretationsspielraum möglich ist.

Den Diskurs fand ich auch okay, aber es muss einfach aufhören, dass Menschen in meinem Alter permanent das Gefühl suggeriert bekommen, es wäre besonders, dass man dieses Risiko mit ihnen eingeht. Wenn mir als 32-Jährige jemand sagt, ich bin für einen Job zu jung oder unerfahren, dann muss mein Gegenüber mich eigentlich für unqualifiziert, dumm oder unsympathisch halten. Das wäre aber eine komplett andere Ausgangssituation. Es nervt mehr, nicht ernst genommen als nicht gemocht zu werden. Aber am meisten nervt, wie wenig Menschen unter 40 überhaupt Entscheidungen treffen dürfen.

Über narrative Stoffe habe ich bis dato sowieso nur mit deutschen Redakteurinnen gesprochen und entwickelt. Das ist halt eine vollkommen andere Landschaft. Viele Fernsehsender und dementsprechend viele Redakteurinnen mit unterschiedlichen Interessen. Diese Entwicklungen sind still ongoing. In Österreich wüsste ich immer noch nicht, an welcher Tür ich klopfen muss. 

Und ja, hier ist es halt einfach so, dass es einen Bro gibt, der quasi alle Entscheidungen trifft, welche Stoffe der ORF realisiert. Aber dies ist der Erlebnisbericht einer 32-jährigen Regisseurin und Autorin, die weder faul noch shy ist und wirklich gerne an die Tür geklopft hätte, wenn sie gewusst hätte, welche, aber i didn’t get the chance.

An dieser Stelle an die jungen Filmis: Es spricht überhaupt nichts dagegen, dieses Land zu verlassen!!! Wer seine Stoffe innerhalb eines Jahrzehnts und mit ein bisschen Idealismus umsetzen möchte, RUN. Ich glaub ja gar nicht, dass es hier nicht möglich ist, aber ich glaub auch, dass die tollsten Stoffe nicht passiert sind, weil kein Atem so lang sein kann, wie er in Österreich sein muss.

Es ist ja immer eine Frage von Ermöglichung und Verhinderung. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass viele tolle Stoffe darauf warten, von österreichischen Redakteurinnen und Redakteuren beleuchtet zu werden, aber es scheitert ja schon an der Chance. Wenn man darauf wartet, dass einen jemand fragt, ob man etwas machen will, verliert man sowieso. Es geht auf jeden Fall nur, wenn man selber dahinter ist, dauernd zu betonen, dass man etwas beim Fernsehen machen will.

Am besten einfach in den Ohren von Produzentinnen liegen, damit die nach der richtigen Tür zum klopfen suchen. Motivierte Produzentinnen, die Bock haben, TV-Formate umzusetzen, gibt es nämliche wirklich viele tolle.

Aber hey, das ist nur ‚Arbeiten beim österreichisches Fernsehen 2022‘ aus meiner Perspektive und bestimmt nicht the only way. Also Good Luck Future Mastermind Filmis, die das österreichische Fernsehen umkrempeln und die Welt verändern werden. Ich freu mich, eure Erfolg-Storys innerhalb des kommenden Jahrzehnts auf Cinema Next zu lesen (:

<<

Foto © Siena Winter